Je größer die Vorsätze für das neue Jahr, desto schneller scheitern sie meist. Runter vom Sofa, rauf aufs Marathon-Podest, drunter geht es nicht. Doch nach den ersten, viel zu schnellen Trainingsrunden zieht es im Knie, wird "kurz" pausiert. Dann ist es zu kalt. Zu heiß. Es regnet. Bald hat einen der Alltag wieder voll im Griff, es kommen, wie immer, unvorhergesehene Zwischenfälle oder Krisen hinzu.
Das hehre Ziel und die unbenutzten Laufschuhe sorgen nagend für ein schlechtes Gewissen, verhindern aber, dass wichtigere Dinge angepackt werden: Endlich die Finanzen in Ordnung bringen, die Wohnung in Schuss halten, Freundschaften pflegen. Zwölf Monate später bleibt wieder nur der Frust über geplatzte Träume, sorgen unerledigte Hausaufgaben für Hektik, ja Panik. Genauso ist es in der Politik: Die Ampel-Koalition war mit hehren Zielen gestartet, ein weitreichender ökologischer und sozialer Umbau der ganzen Gesellschaft sollte es schon sein. Schnellstmöglich klimaneutral, auch auf Kosten der Wirtschaft, hohe Sozialleistungen bei geringem Mitwirkungsdruck, der amtliche Geschlechtseintrag jährlich änderbar, Cannabis legal.
Bundeswehr, Energie, Gesundheitssystem: Die Liste für die Regierung ist lang
Doch der Ukraine-Krieg hat noch schonungsloser offengelegt, was eigentlich längst klar ist: Vor der Kür ist erst einmal die Pflicht zu erfüllen. Das ist in immer weniger Bereichen der Fall. Bei einer Bundeswehr, die so kaputtgespart wurde, dass sie weder in der Landesverteidigung noch im Rahmen des Nato-Bündnisses ihre Aufgaben erfüllen kann. In einem Gesundheitssystem, das vor dem Kollaps steht, kaum mehr finanzierbar ist. Es fehlen Pflegekräfte, Medikamente und Krankenhausbetten, gerade auch für Kinder. Aus der Pandemie, von der noch ungewiss ist, ob sie wirklich schon vorbei ist, wurden wieder nicht die richtigen Lehren gezogen. Wohnungen sind rar und teuer, auch wegen eines Übermaßes an Regulierung wurde viel zu wenig gebaut, sogar als die Kredite so billig waren wie nie. Und jetzt, wo die Zinsen wieder hoch sind, droht erst recht der Stillstand. Dass nun Millionen Menschen mehr die Sozialleistung Wohngeld zusteht, dämpft die Auswirkungen der Misere ein wenig, ändert aber nichts an ihren Ursachen.
Dann erst der Energiesektor: Den Ausstieg aus Kohle und Atom beschlossen, beim Ausbau von Wind- und Sonnenenergie aber nicht schnell genug vorangekommen und deshalb fatalerweise immer mehr auf russisches Gas als "Brückentechnologie" gesetzt. Das fehlt jetzt natürlich schmerzhaft. Wo all der Öko-Strom für Wärmepumpen und Elektroautos herkommen soll, wo der grüne Wasserstoff für die Industrie, ist noch längst nicht klar. Heizkosten explodieren wie die Preise für Strom und Lebensmittel. Teure Kostenbremsen aber belasten künftige Generationen.
Die Regierung muss sich jetzt um grundlegende Dinge kümmern
Eine Zeitenwende hat Kanzler Olaf Scholz nach dem Schock des russischen Überfalls auf die Ukraine angekündigt. Das klingt nach Quantensprung. In Wirklichkeit tut seine Koalition aus SPD, Grünen und FDP gut daran, sich einzugestehen, dass es jetzt erst einmal darum geht, wieder ganz grundlegende Dinge zu garantieren. Dass Wohnungen, Strom, Wärme und Ernährung überhaupt ausreichend verfügbar, aber auch bezahlbar sind. Dass Bildung, Gesundheit und Infrastruktur in Ordnung kommen. Dass Sicherheit herrscht, im Inneren und nach außen.
Die Union sollte das kritisch, vor allem aber konstruktiv begleiten. Denn sie selbst hat zuvor lange die Regierungen angeführt und großen Anteil an vielen Problemen. Es nutzt nichts: Dieser Jahresbeginn ist nicht die Zeit für so glamouröse wie unrealistische Protz-Vorsätze. Angesagt sind jetzt Aufräumen, Reparieren, Ausmisten, den Haushalt in Ordnung bringen, Zimmer für Zimmer, Schublade um Schublade. Ein Marathon ist ein Klacks dagegen.