Eine der größten Stärken der deutschen Wirtschaft ist die funktionierende Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaften und Unternehmen. Das Gebot heißt seit Jahrzehnten Geben und Nehmen und hat einen gehörigen Teil dazu beigetragen, dass die Bundesrepublik zu den wohlhabenden Ländern der Welt gehört.
Doch das Gebot wird zunehmend seitens der Gewerkschaften infrage gestellt. Die Lokführer der Gewerkschaft GDL haben ohne Rücksicht auf Verluste bei Industrie und Reisenden ihre Forderungen beinahe vollumfänglich durchgesetzt. Während der Betrieb auf den Gleisen wieder rollt, sind jetzt womöglich die Flughäfen dran. Wenn die Schlichter keinen Erfolg haben, könnte es über Ostern zu Streiks des Lufthansa-Bodenpersonals kommen. Die Verhandlungen über die Bedingungen der Arbeit verkommen verstärkt zu Tarifkampf und -krampf.
Die Alterung der Gesellschaft stärkt die Gewerkschaften
Dass die Gewerkschaften heutzutage mehr durchsetzen können als noch vor zehn Jahren, liegt an der Alterung der Gesellschaft und der dadurch entstehenden Personallücke in allen Bereichen der Wirtschaft. Die Marktmacht der Arbeitnehmer ist deutlich gestärkt. Den Gewerkschaften ist der neue Hebel aber noch nicht lang genug, in Schlüsselpositionen nutzen sie die Unersetzlichkeit ihrer Mitglieder aus.
Die Bahn zum unzuverlässigen Verkehrsmittel zu machen, war dezidiertes Ziel von GDL-Chef Claus Weselsky in den Wochen des Arbeitskampfes. Kurze Ankündigungsfristen sorgten dafür, dass der Schienenkonzern es unheimlich schwer hatte, einen Notfahrplan aufzustellen. Ähnliche Töne sind jetzt von Verdi in den hart geführten Verhandlungen über Lohn und Arbeitszeiten des Bodenpersonals zu hören.
Bei diesem Vorgehen gerät die Verhältnismäßigkeit ins Rutschen. Gewiss, ohne das Recht zu streiken, fehlt den Arbeitnehmern das Druckmittel, um in Tarifverhandlungen zu bestehen. Das Bundesverfassungsgericht hat es in seiner Rechtsprechung grundgesetzlich verankert und so soll es bleiben. Gleichwohl sollte der Bundestag die Streikbedingungen in den Bereichen der kritischen Infrastruktur wie Bahn, Luftfahrt, Energieversorgung und Gesundheitssektor verschärfen.
Dazu könnte zum Beispiel eine verpflichtende Schlichtung gehören, wenn sich Tarifverhandlungen verhakt haben. Oder längere Phasen mit Friedenspflicht, in denen nicht gestreikt werden darf, wenn eine Tarifrunde gescheitert ist. Der alten Unterscheidung zwischen Warnstreik und Erzwingungsstreik könnte neue Geltung verschafft werden. Für Warnstreiks galt früher die Faustregel, dass sie zwei Stunden gedauert haben. Erst nach dem Platzen von Verhandlungen wären längere Erzwingungsstreiks erlaubt.
Privilegierte Jobs mit hoher Verantwortung für das Gemeinwesen
Der Eingriff in das Streikrecht wäre in der kritischen Infrastruktur gerechtfertigt, weil die Beschäftigten in einer privilegierten Stellung stehen. Anders als in der Industrie müssen sich Lokführer der Deutschen Bahn und das Bodenpersonal an Flughäfen keine Gedanken machen, dass ihre Jobs ins Ausland verlagert werden. Sie genießen eine hohe Arbeitsplatzsicherheit, haben aber im Gegenzug eine Verantwortung für das Gemeinwesen.
Eine gesetzliche Novelle des Streikrechts ist auch deshalb notwendig, weil es derzeit ein Richterrecht ist. Und die Arbeitsgerichte entscheiden sehr gewerkschaftsfreundlich, wie an den abgeschmetterten Klagen der Bahn gegen die GDL abzulesen ist. Das muss sich ändern. Einzelne Berufsgruppen dürfen ihre Partikularziele nicht auf dem Rücken von Wirtschaft und Gesellschaft erzwingen.