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Kommentar: Der EU fehlt der Kompass im Umgang mit dem Iran

Kommentar

Der EU fehlt der Kompass im Umgang mit dem Iran

Simon Kaminski
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    Am Dienstag dominierten die Unterstützer des Regimes die Straßen in Teheran: Tausende nahmen an einem Trauerzug für den verstorbenen iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi, Irans Außenminister Hussein Amirabdollahian und weitere Minister teil, die bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen sind.
    Am Dienstag dominierten die Unterstützer des Regimes die Straßen in Teheran: Tausende nahmen an einem Trauerzug für den verstorbenen iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi, Irans Außenminister Hussein Amirabdollahian und weitere Minister teil, die bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen sind. Foto: Mehrvarz Ahmadi, dpa

    Tiefe Bestürzung, Schweigen, distanzierte Anteilnahme oder der zornige Verweis auf die Verbrechen, die Ebrahim Raisi angelastet werden. So groß ist die Bandbreite der weltweiten Reaktionen auf den Tod des iranischen Präsidenten, der letztlich nur Erfüllungsgehilfe des mächtigen geistlichen Führers Ali Chamenei war. Dass leidenschaftliche Kondolenz-Botschaften aus Moskau, Peking und vielen arabischen Ländern zum Tod des fanatischen Dogmatikers in Teheran eintrafen, war erwartbar.

    Viel interessanter sind die Botschaften, die aus Staaten kamen, die dem iranischen Regime kritisch oder gar feindlich gegenüberstehen. Beispiel Washington: US-Außenminister Antony Blinken bekundete zwar sein Beileid, beteuerte aber im gleichen Atemzug, dass die USA an der Seite des iranischen Volkes in seinem Kampf um „Menschenrechte und Grundfreiheiten“ stünden. 

    Der Präsident des Europäischen Rates hätte sich an US-Außenminister Blinken orientieren sollen

    Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, hätte gut daran getan, sich an der Tonlage Blinkens zu orientieren, bevor er am Montag im Namen der EU in etwas gewundenen Worten sein „aufrichtiges Beileid zum Tod von Präsident Raisi“ formulierte, ohne zumindest in einem Nebensatz in diplomatischer Sprache daran zu erinnern, welch fatale Rolle Raisi über viele Jahre hinweg gespielt hat. Ein Mann, der zu Lebzeiten die Menschenrechte der Iranerinnen und Iraner mit Füßen getreten hat, der in seiner Heimat von seinen Gegnern den Beinamen „Schlächter von Teheran“ erhielt. 

    Der Aufschrei aus mehreren, aber längst nicht aus allen EU-Mitgliedsländern auf Michels Worte war laut. So schrieb die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Was für ein erbärmlicher Hashtag, was für eine Verhöhnung der mutigen Kämpfer für Menschenrechte im Iran.“ Allerdings darf man bei allem Furor nicht unterschlagen, dass Michel auf dem offiziellen EU-Account der Plattform X für die Union in ihrer Gesamtheit gesprochen hat.

    Am Dienstag dominierten die Unterstützer des Regimes die Straßen in Teheran: Tausende nahmen an einem Trauerzug für den verstorbenen iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi, Irans Außenminister Hussein Amirabdollahian und weitere Minister teil, die bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen sind.
    Am Dienstag dominierten die Unterstützer des Regimes die Straßen in Teheran: Tausende nahmen an einem Trauerzug für den verstorbenen iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi, Irans Außenminister Hussein Amirabdollahian und weitere Minister teil, die bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen sind. Foto: Mehrvarz Ahmadi, dpa

    Und da ist es nun mal so, dass die Beileidskundgebungen aus Paris, aber auch die erst am Dienstag nachgeschobene dürre Note von Kanzler Olaf Scholz ganz ähnlich klingen, wie die Zeilen aus Brüssel. Kurz gesagt: Einflussreiche Kräfte in Europa scheuen sich nach wie vor, einen endgültigen Bruch mit Teheran zu riskieren. Auch die deutsche Bundesregierung war in der Vergangenheit spürbar zurückhaltend, wenn es um eine harte Verurteilung des Irans ging. Das kann man mit guten Gründen auch dann einen Fehler nennen, wenn man nicht dafür plädiert, alle Gesprächskanäle mit Teheran zu kappen. 

    Und im Iran? Dort versucht die gleichgeschaltete Presse, mit Bildern von trauernden Anhängern Raisis die Deutungshoheit zu erlangen. Auf den Kanälen der sozialen Medien dominierten schnell die Video-Sequenzen iranischer Regimegegner, die das Ende ihres Peinigers ausgelassen feierten. 

    Nur noch mit einer permanenten Gewaltandrohung kann sich das Regime halten

    Chamenei, seine Entourage und die brutale Revolutionsgarde dürften bei aller Verblendung wissen, dass sie nur noch mit einer permanenten Gewaltandrohung den Status quo erhalten können. Doch diesen „Status quo“ definiert eine wachsende Mehrheit im Land auf ihre Weise: Unfreiheit, Staatswillkür, Hinrichtungen, systematische Unterdrückung von Frauen und wirtschaftlicher Niedergang. Auch auf die Religion als Kitt für die Islamische Republik können sich die Mullahs längst nicht mehr verlassen. 

    Die Kluft zwischen der Bevölkerung und dem Regime wächst weiter, die Erosion der Islamische Republik ist in vollem Gange.

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