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Kommentar: Menschenrechte und Mitgefühl werden zur Nebensache

Kommentar

Menschenrechte und Mitgefühl werden zur Nebensache

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    Wer muss hier beschützt werden? Aufnahme aus einem Flüchtlingslager im griechischen Idomeni.
    Wer muss hier beschützt werden? Aufnahme aus einem Flüchtlingslager im griechischen Idomeni. Foto: Thomas Lohnes, epd

    Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte die Herausforderung Migration einst zur Schicksalsfrage der EU. Zerfällt die Gemeinschaft über den Umgang mit dem Reizthema oder hält der Club der 27 zusammen? Die Frage schwebt seit Jahren wie ein Damoklesschwert über der Union und erhöhte den Druck auf die Europäer, sich endlich auf Änderungen der längst gescheiterten Asyl- und Migrationspolitik zu verständigen. Kein Thema treibt die Gesellschaften mehr um – und auseinander. Deshalb ist es eine gute Nachricht, dass sich die Verantwortlichen auf eine Reform verständigt haben, auch wenn sie umstritten bleibt und es am Ende so wirkte, als ob es keineswegs mehr um inhaltliche Details ging.

    Reform des Asylsystems: Europa erlebt eine Zäsur

    Ein Durchbruch musste her, egal wie. Zu nah rücken die Europawahlen im Juni 2024, bei der eine rechte Welle auf Brüssel zurollt. Nun erlebt Europa eine Zäsur. Denn die EU verschärft die Regeln massiv, um die irreguläre Einwanderung einzudämmen, die Hardliner setzten sich durch mit ihren Forderungen. Trotzdem können die Erwartungen vieler krisenerschöpfter Bürger nur enttäuscht werden. In Zeiten von überfüllten Turnhallen und überforderten Kommunen ist deren Sehnsucht nach einer schnellen Lösung verständlich. Doch die Auswirkungen dieser Reform werden selbst im besten Falle erst in ferner Zukunft zu spüren sein. In ungünstigeren Szenarien geht das Sterben im Mittelmeer weiter. Das Leid von Geflüchteten könnte gar zunehmen, wenn sich plötzlich sogar traumatisierte Minderjährige in haftähnlichen Lagern wiederfinden.

    Kurzfristig führt kein Weg daran vorbei, mit Ländern wie Tunesien und Ägypten zu kooperieren, auch wenn diese autokratisch regiert werden. Zur bitteren Wahrheit gehört, dass sich die EU die Hände schmutzig machen und moralisch schwierige Entscheidungen treffen muss, will sie die Zahl der Migranten auf dem Kontinent deutlich senken. Drittstaaten sind von strategischer Bedeutung. Neben den EU-Ankunftsstaaten sind sie es, die unterm Strich die Drecksarbeit für die Europäer erledigen sollen. Im Gegenzug für das mühsame Geschäft gibt es viel Geld. Ob die Strategie aufgehen wird wie erhofft, wird sich erst noch zeigen. Denn durch die Auslagerung der Verantwortung macht sich die Gemeinschaft auf gefährliche Weise erpressbar.

    Die EU verwandelt sich in eine Festung

    Die EU-Spitzen mögen sich nun für ihren Verhandlungserfolg feiern, nachdem die Gemeinschaft eine Reform aufgrund von Streitigkeiten und unsolidarischen Ego-Trips im Kreis der Mitgliedstaaten zu viele Jahre verschleppt hat. Die Untätigkeit sorgte dafür, dass die Populisten und Nationalisten Futter für ihre Ängste schürenden Tiraden erhielten. Gleichwohl haben die EU-Vertreter mit diesem Pakt das Recht verspielt, künftig weiter durch die Welt zu ziehen und die Moralkeule zu schwingen. Denn die neuen Regeln setzen auf Abschottung und Abschreckung, Menschenrechte und Mitgefühl werden zur Nebensache degradiert. In der neuen Realität verwandelt sich die EU zunehmend in eine Festung.

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