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Kommentar: Menschenleben haben für Putin keinen Wert, sondern einen Preis

Kommentar

Menschenleben haben für Putin keinen Wert, sondern einen Preis

Margit Hufnagel
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    Der wegen Spionage verurteilte Wall-Street-Journal-Korrespondent Evan Gershkovich umarmt seine Mutter Ella Milman - rechts steht Elizabeth Whelan, die Schwester des freigelassenen Gefangenen Paul Whelan.
    Der wegen Spionage verurteilte Wall-Street-Journal-Korrespondent Evan Gershkovich umarmt seine Mutter Ella Milman - rechts steht Elizabeth Whelan, die Schwester des freigelassenen Gefangenen Paul Whelan. Foto: Alex Brandon, dpa

    Es gibt Nachrichten, die sind so gut, dass man es kaum wagt, das Magengrummeln, das sich heimlich einstellt, offen auszusprechen. Fast zwei Dutzend Menschen hat der Deal, den der Westen mit Wladimir Putin eingegangen ist, das Leben, mindestens aber die Zukunft gerettet. Der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa ist schwer krank, wäre er weiter in seiner Zelle geblieben, hätte er nicht mehr lange überlebt. Rico Krieger, der Deutsche, wurde vom belarussischen Machthaber nur deshalb begnadigt, weil er Teil einer größeren Abmachung war – Lukaschenko hätte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, hinrichten lassen. Kevin Lick, Evan Gershkovich, Geman Moyzhes, Sascha Skotschilenko: Für all diese Männer und Frauen war es ein großes Glück, dass Deutschland und die USA sich für ihre Freilassung eingesetzt haben. Wer wollte es ihnen ins Gesicht sagen, dass dieses politische Geschäft gegen Prinzipien und juristische Paragrafen verstoßen hat?

    Und doch war der Gefangenenaustausch eben ein großes Risiko, denn die Nebenwirkungen sind gewaltig und schmerzhaft: Ausgerechnet Putin wurde belohnt für seine menschenverachtende Vorgehensweise. Der russische Präsident hat längst erkannt, dass politische Gefangene, mehr noch westliche Gefangene, für ihn so etwas wie eine Handelsware sind. Menschenleben haben für ihn keinen Wert, sondern einen Preis, der sich genau ausrechnen lässt: Waffenhändler gegen Basketballspielerin, Mörder gegen Journalist, Spion gegen politische Aktivistin. Er weiß, dass es die modernen Gesellschaften, für die Humanität zu den wichtigsten Werten zählt, nicht aushalten, wenn ihre eigenen Staatsangehörigen wegen fadenscheiniger Gründe in sibirische Straflager geschickt werden.

    Gefangenenaustausch mit Russland: Der „Boss“ rettet seinen Auftragsmörder

    Es geht deshalb um deutlich mehr als allein um die Frage, wer hier Gewinner oder wer Verlierer ist – es geht darum, dass Putin neue Gefangene „produzieren“ wird, dass er weiterhin im Ausland morden lässt, weil seine Agenten wissen, dass ihr „Boss“ sie vor der Justiz retten wird, dass er weiß, dass er unliebsame Oppositionelle ins Ausland drängen kann, wo ihre Stimme kaum mehr gehört wird. Nicht ohne Grund hat Alexej Nawalny einst das Angebot ausgeschlagen, in Deutschland zu bleiben. So hart es klingen mag: Widerstand lässt sich nur im Angesicht des Gegners ausüben, dort, wo sich Menschen mobilisieren lassen, die die Macht des Autokraten infrage stellen können.

    Der Preis der Humanität

    War der Preis, den Deutschland und die USA bezahlt haben, also zu hoch? Es gibt wenige Fragen, die sich so schwer mit einem klaren Ja oder einem klaren Nein beantworten lassen wie diese. Realpolitik ist in den wenigsten Fällen schwarz-weiß, doch beim Gefangenenaustausch zeigen sich die Grautöne überdeutlich. Dass es der Regierung in einem solch heiklen Fall nicht um den eigenen Gesichtsverlust geht, sondern um Menschlichkeit, ist eine Erkenntnis, deren Bedeutung gar nicht überschätzt werden kann. Anders als Putin geht es Scholz und Biden nicht um die eigene Ehre, es ging ihnen um Menschenleben. In einer Zeit, in der die politischen Selbstdarsteller die Bühnen erobern, ist das eine beruhigende Gewissheit. Humanität mag in Putins Augen die größte Schwäche des Westens sein – doch zugleich ist sie eben auch seine größte Stärke.

    Und noch etwas hat der Gefangenenaustausch gezeigt: Berlin und Washington arbeiten zusammen. Für den Bundeskanzler war der Schritt, den er machen musste, weitaus größer als für den US-Präsidenten. Das Weiße Haus hatte sich auch in der Vergangenheit immer wieder auf schmutzige Geisel-Diplomatie eingelassen, für die deutsche Politik stellte sie ein Tabu dar. Doch Scholz wusste, dass Biden der Deal wichtig war. Er hat sich als Partner gezeigt und eine Allianz gestärkt, die Putin entschieden entgegentritt.

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    3 Kommentare
    Richard Markl

    Vielen Dank für diese Einordnung! Trotzdem: Gewonnen hat erstmal der, der skrupelloser vorgehen kann. In der Ukraine zeichnet sich mittlerweile auch ein Erfolg Putins ab. Die Ukraine darf nur mit großen Einschränkungen mit den (zu wenigen) westlichen Waffen kämpfen, während Putin alles was er hat und massiv neu produziert an Bomben auf die gesamte Ukraine werfen darf. Eigentlich nur noch die Frage mit wieviel Beute er zufrieden ist. In Ostdeutschland soll von Anfang der Wunsch vorgeherrscht haben, sich nicht in der Ukraine einzumischen, da Russland am Ende doch gewinnt. Tja!?! Wählen die Leute in den USA Trump und bei uns AFD, da man mit der Einhaltung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in dieser neuen Konstellation mit Russland, China, Nordkorea, Iran usw. sonst sowieso immer nur zweiter "Sieger" wird? Sind intelligent und skrupellos geführte Unrechtsstaaten die nächste Stufe der Evolution?

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    Marianne Böhm

    Nur weil unsere, die amerikanische Politik egal aus welchen Gründen etwas humanitäres getan haben, sind wir nicht gut. Wenn wir gut wären würde es keine Waffen geben, kein Mensch müsste hungern und überall wäre Frieden.. Und warum ist es nicht so.. weil wir Menschen sind und keine Heiligen.. Ich habe festgestellt dass Hilfe was kosten muss, oder großes Kino sein, ansonsten ist es nichts, hat es keine Wertigkeit.

    Marianne Böhm

    So wie es ist kann es keine Gewinner sondern nur Verlierer geben und ich sehe das nicht nur auf Putin bezogen.. Ich höre Sätze die mich Entsetzen.. und man fragt sich was für Hirne spucken solche Sätze aus.. Wer nicht für uns ist ist draußen.. Egal ob ihr damit einverstanden seit wir machen es trotzdem.. usw.. Keiner achtet mehr auf das was unsere Politiker oder unser Gegenüber sagt.. weil keiner mehr zuhören kann und vieles einfach aus dem Kontext genommen wird, dass es passt.. Inzwischen hat jeder ein völlig überzogenes Ego.. Putin ist kein Heiliger, aber macht man es sich nicht zu einfach wenn man nur ihn zum einzigen Schuldigen macht. Während des Krieges werden aus korrupten Länder demokratische Länder. Männer, Frauen die betrogen, gelogen haben werden zu Saubermänner, Frauen. Ich bin eine erwachsene Frau und bekomme jeden Tag mit wie gelogen wird.. aber wenn ich meine Meinung sage werde ich zensiert, weil meine Meinung nicht gut für diese kollektive Gesellschaft ist..

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