„Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Was Hoffmann von Fallersleben angeblich schon Mitte des 19. Jahrhunderts reimte und Erich Mielke in der DDR zu gespenstischer Perfektion entwickelte, ist auch im digitalen Zeitalter noch ein sehr deutsches Phänomen.
Wer sich über falsch geparkte Autos ärgert, kann sie heute mithilfe spezieller Apps direkt dem jeweiligen Ordnungsamt melden, in Baden-Württemberg betreibt die Landesregierung ein Internetportal, auf dem Bürgerinnen und Bürger anonym tatsächliche und vermeintliche Steuersünder anzeigen können – und in Berlin finanziert Familienministerin Lisa Paus (Grüne) seit kurzem eine „Meldestelle Antifeminismus“ mit, bei der jedermann und jedefrau auch Menschen anschwärzen darf, die etwas gegen das Gendern haben oder mit der Arbeit einer Gleichstellungsbeauftragten nicht zufrieden sind.
Dass die langjährige Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, die das Portal betreibt, früher selbst inoffizielle Mitarbeiterin von Mielkes Staatssicherheit war, passt dazu wie das berühmte Tüpfelchen auf das i. Der Blockwart von heute arbeitet digital und tarnt sich im Gewand des Gutmenschen. Als Argument für die Einrichtung solcher Meldestellen wird der Kampf gegen Rassismus oder Hasskriminalität bemüht.
Eine „Meldestelle Antifeminismus“ ist das Gegenteil von lebendigem Pluralismus
Tatsächlich jedoch ebnen die Portale einer Kultur der Denunziation den Weg, die man mit dem Zusammenbruch der DDR eigentlich überwunden glaubte. Gemeldet werden können schließlich nicht nur Straftaten wie Angriffe auf Frauen oder queere Menschen, sondern auch Vorfälle, die zweifelsfrei durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind – etwa das Verteilen von Flugblättern, die sich gegen die zunehmende Verunstaltung der deutschen Sprache durch größtmögliche Geschlechterneutralität richten.
Zu den demokratischen Werten, für die die Antonio-Stiftung ja eintreten will, gehören auch der Meinungsstreit und das Aushalten von Widersprüchen. Eine staatlich mitfinanzierte Plattform wie die „Meldestelle Antifeminismus“ aber ist so ziemlich das Gegenteil von lebendigem Pluralismus. Wenn Denunzianten dort auch Vorfälle anzeigen können, die unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen, wird überdies eine juristische Grenze überschritten. Jemanden zu diffamieren, zumal nur auf einen subjektiven Verdacht hin, ist ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Angeschwärzten. Dass es in einigen Bundesländern, darunter Bayern, noch weitere solcher Portale gibt, macht die Sache nicht besser, sondern nur noch schlimmer.
Wachsam zu sein, eine Straftat anzuzeigen oder bei der Polizei eine Zeugenaussage zu machen, ist etwas anderes, als in missionarischem Furor Menschen einem Petz-Portal zu melden, die dem eigenen Gesellschaftsbild nicht folgen wollen.
Niemand muss Feminist sein – und jeder muss das auch sagen dürfen
Niemand ist verpflichtet, Feministin oder Feminist zu sein in Deutschland, niemand muss einen Gender-Stern oder ein Binnen-I für einen emanzipatorischen Fortschritt halten und die klassische Familie für ein soziologisches Auslaufmodell. Jeder aber muss das denken und sagen dürfen, ohne von einem Kollegen, einem Nachbarn oder einem anderen missliebigen Menschen in einschlägigen Datenbanken verewigt zu werden. Wo es tatsächlich justiziabel wird, bei Bedrohungen, körperlichen Angriffen oder Stalking, sind in einem Rechtsstaat die Polizei und die Justiz gefordert und keine dubiosen Meldestellen. Und überhaupt: Meldestelle – klingt das nicht schon wie bei Mielke?