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Kommentar: Man muss Mitleid mit Trump haben – aber vor allem mit uns allen

Kommentar

Man muss Mitleid mit Trump haben – aber vor allem mit uns allen

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    Man muss Mitleid mit Trump haben – aber vor allem mit uns allen
    Man muss Mitleid mit Trump haben – aber vor allem mit uns allen Foto: John Raoux, AP/dpa

    Muss man mit Donald Trump und seiner Frau Mitleid haben, weil sie an Corona erkrankt sind? Muss man ihnen rasche Genesung wünschen? Ja, das muss man, selbst wenn dieser Präsident eine öffentliche Beleidigung darstellt. Niemand wünscht einem anderen Menschen eine (möglicherweise tödliche) Erkrankung an den Hals, ganz gleich wie krank der öffentliche Diskurs gerade in den USA geworden ist. So unglaublich es klingt: Trump, 74 Jahre alt und übergewichtig, ist jener Senior-Risikopatient, für den wir alle in der Corona-Krise Masken tragen sollen.

    Doch man darf, man muss noch mit etwas anderem Mitleid haben: mit dem Zustand der amerikanischen Demokratie – und weil diese immer noch die wichtigste der Welt ist, müssen wir Mitleid mit uns allen haben.

    Donald Trump hat Corona lange verharmlost

    Denn zwar weiß niemand, wie die Infektions-Nachricht sich auf die Zukunft dieser Demokratie auswirken wird. Von der größten denkbaren Erschütterung, einem Ableben Trumps, wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden. Dann müsste ein neuer republikanischer Kandidat gefunden und die Wahl verschoben werden, was jedoch nur bis Januar des nächsten Jahres erlaubt ist. Es ist jedoch selbst bei einem milderen Krankheitsverlauf zumindest wahrscheinlich, dass die geplanten TV-Debatten ausfallen, der Wahlkampf pausieren muss.

    Donald Trumps Zitate über Corona-Krise und Masken

    "Wir haben es völlig unter Kontrolle. Es ist eine Person, die aus China kommt, und wir haben es unter Kontrolle. Es wird alles gut werden."

     (Am 22. Januar im CNBC-Interview aus dem schweizerischen Davos; am Vortag war der erste Corona-Fall in den USA bekannt geworden.)

    "Sie wissen, dass es im April angeblich mit dem heißeren Wetter stirbt. Und das ist ein wunderbares Datum, auf das man sich freuen kann."

     (Am 10. Februar über das Virus im Fox-Business-Interview.)

    "Bei uns geht es ganz erheblich nach unten, nicht nach oben."

     (Am 26. Februar in einer Pressekonferenz über die Zahl der US-Corona-Fälle.)

    "Die Fake-News-Medien und ihre Partner, die Demokratische Partei, tun alles in ihrer halbwegs beachtlichen Macht (früher war sie größer!), um die Corona-Lage stärker anzuheizen, als die Fakten es hergeben." 

    (Am 9. März auf Twitter.)

    "Es ist ein hochansteckendes Virus. Unglaublich. Aber wir haben eine ungeheure Kontrolle darüber."

     (Am 15. März in einem Pressebriefing.)

    "Ich habe immer gewusst, dass das eine Pandemie ist. Ich hatte das Gefühl, dass es eine Pandemie ist, lange bevor es als Pandemie bezeichnet wurde."

     (Am 17. März in einem Pressebriefing.)

    "Wenn wir es so eindämmen können (...), dass wir zwischen 100 000 und 200 000 haben, dann haben wir alle zusammen einen guten Job gemacht."

     (Am 29. März über Todesfälle und bevorstehende Maßnahmen.)

    "Das ist freiwillig. (...) Ich habe mich entschieden, es nicht zu tun."

     (Am 3. April über die Empfehlung an die US-Bevölkerung, Stoffmasken zum Schutz gegen das Virus zu tragen.)

    "Die Coronavirus-Zahlen sehen VIEL besser aus, sie gehen fast überall runter. Wir machen große Fortschritte."

     (Am 11. Mai in einem Tweet.)

    "Es verschwindet. Es wird verschwinden."

     (Am 17. Juni in einem Interview mit Fox News.)

    "Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern, die schrecklich leiden, schlagen wir uns sehr gut - und wir haben Dinge geschafft, die nur wenige andere Länder schaffen könnten."

     (Am 21. Juli in einem Tweet.)

    "Wir haben mehr Fälle, weil wir viel mehr als jedes andere Land getestet haben. 60 000 000. Wenn wir weniger testen würden, hätten wir weniger Fälle."

     (Am 1. August in einem Tweet.)

    "Haben Sie jemals einen Mann gesehen, der so gerne eine Maske trägt wie er? Und wenn er spricht, lässt er sie häufig am Ohr runterhängen. Weil, wisst Ihr was? Das lässt ihn sich sicherer fühlen. Wenn ich ein Psychiater wäre, würde ich sagen, der Junge hat eine Menge Probleme."

     (Am 3. September bei einem Wahlkampfauftritt in Latrobe im Bundesstaat Pennsylvania über seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden.)

    "Ich denke, wir haben in der Pandemie vermutlich einen besseren Job als jedes andere Land gemacht, auf jeden Fall unter den großen Ländern der Welt."

     (Am 10. September bei einem Wahlkampfauftritt in Freeland im Bundesstaat Michigan.)

    "Habt Ihr seine Kreise gesehen, die Kreise? Wisst Ihr, warum die sie einzeichnen? Angeblich, um bei Covid korrekt zu sein, aber in echt ist es, weil sie nicht genug Leute finden, um den Raum zu füllen."

     (Am 12. September bei einem Wahlkampfauftritt in Minden im Bundesstaat Nevada zu Veranstaltungen von Joe Biden, bei denen die Teilnehmer mit Hilfe auf dem Boden markierter Kreise Abstand halten.)

    "Ich bin auf einer Bühne, das ist sehr weit weg, deswegen mache ich mir überhaupt keine Sorgen."

    (Am 14. September am Rande eines Wahlkampfauftritts in einer Halle in Henderson im Bundesstaat Nevada auf die Frage einer Journalistin, ob er sich Sorgen mache, sich anzustecken.)

    "Ich trage sie, wenn ich muss. Ich trage sie in Krankenhäusern und an anderen Orten. Eine Menge Leute wollen keine Masken tragen. Eine Menge Leute denken, dass Masken nicht gut sind. (...) Ich kann Ihnen sagen, wer das ist: Kellner. Sie kommen rüber und bedienen einen und sie fassen ihre Maske an und dann den Teller. Das kann nicht gut sein."

     (Am 16. September in einer Fragestunde mit Wählern beim Sender ABC.) 

    "Ich trage die Maske nicht wie er. Jedes Mal, wenn man ihn sieht, trägt er eine Maske. Er könnte 200 Fuß entfernt von mir sprechen, er würde mit der größten Maske aufkreuzen, die man je gesehen hat."

     (Am 29. September über Joe Biden in der ersten gemeinsamen TV-Debatte.)

    Es ist durchaus denkbar, dass noch mehr Wähler Trump nun wirklich übel nehmen, wie sehr er das Virus lange verharmlost hat, dass er noch diese Woche über Masken spottete und immer wieder ein nahes Ende der Pandemie versprach. Es ist aber genauso denkbar, dass Trump sich wieder in bewährter Manier als Opfer inszenieren wird – oder er ähnlich wie Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nach einem milden Krankheitsverlauf tönen wird, das vermeintlich so gefährliche Virus sei doch leicht zu überstehen. Er würde dann die „greatest“ Genesung aller Zeiten vermarkten.

    Amerika hat sich selbst infiziert

    Eins wissen wir aber ganz genau: Es gibt schlicht kein Vertrauen mehr, nirgendwo. Schon Stunden nach der Nachricht tauchten viele Vermutungen auf, diese Infektion sei von Trump erfunden worden, es handele sich (mal wieder) um fake news, etwa weil er die TV-Debatten schwänzen wolle, nach einem schwachen Auftritt in der ersten. Andere, die Corona für eine Weltverschwörung halten, suggerierten wiederum, all dies sei von Corona-Hysterikern inszeniert, um Corona-Hysterie zu schüren.

    Das prompte Hin und Her im Weißen Haus, wer wann wen wie infiziert und informiert haben könnte, erinnert an die dunkelsten Stunden des Watergate-Skandals, als ein US-Präsident Richard Nixon zum Kriminellen wurde und zurücktreten musste. Watergate-Enthüller Carl Bernstein war folgerichtig kurz nach Bekanntwerden von Trumps Corona-Erkrankung bei CNN zu sehen und sprach von der größten Krise der nationalen Sicherheit in den Vereinigten Staaten von Amerika seit vielen Jahren. In der Tat: Wie groß soll das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Vereinigten Staaten noch sein, wenn diese  nicht einmal ihren Präsidenten schützen können – und keine Information dazu mehr Vertrauen genießt?

    Selbst zur Frage, wie sehr den Bulletins von Trumps Leibärzten zu trauen ist, ist eine heftige Debatte entbrannt – durchaus zu Recht, denn Trump scheint in gewohnter Manier nur gute Nachrichten über seinen Gesundheitszustand als brauchbare Nachrichten anzusehen.   

    So weit ist es gekommen: Für diese Krise der nationalen Sicherheit brauchte es keine Terroristen von außen. Amerika hat sich selbst infiziert. Es geht nun um Amerikas Gesundheit, im wahrsten Sinne des Wortes.

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