Ein Berater von Emmanuel Macron sagte einmal zu Beginn von dessen Amtszeit 2017, es sei schwierig für den Präsidenten, seine „komplexen Gedankengänge“ für alle verständlich auszudrücken. Schon damals offenbarte sich bei Macron eine erschütternde Abgehobenheit. Angesichts der heutigen verkorksten Lage in Frankreich drängt sich die Frage wieder auf: Sind die Gedanken des französischen Präsidenten zu komplex, um sich für andere Menschen als ihn selbst nachvollziehen zu lassen? Ist er schlichtweg in anderen Sphären unterwegs?
Ohne Not ging Macron das Risiko einer Niederlage ein, indem er nach der EU-Wahl vor drei Wochen die Nationalversammlung auflöste. Es folgten ein fiebriger Turbo-Wahlkampf und nun die Ergebnisse der ersten Runde mit einem historischen Erfolg für den Rassemblement National (RN). Das Land ist gespalten wie nie: Die einen haben regelrecht Angst, die anderen jubilieren, weil sie in Marine Le Pen eine willkommene Alternative sehen. „Die haben wir noch nicht ausprobiert“, war oft zu hören. Als könnte es nicht schlimmer kommen. Doch, das kann es.
Frankreich: Den meisten Wählern war es ernst mit der Klatsche für Emmanuel Macron
Bis zuletzt, das legten Macrons Äußerungen im Wahlkampf nahe, hatte er in einer völligen Verkennung der Lage geglaubt, die Stärkung seiner Regierungsmehrheit sei möglich und ein Triumph der Rechtsextremen ließe sich abwenden. Sein Instinkt hat ihn bitter getäuscht. Die Hoffnung, dass ihn die Menschen innerhalb weniger Wochen wieder mögen oder sie „zur Vernunft“ kommen könnten, bewahrheitete sich nicht. Den meisten war es ernst mit der Klatsche für ihn.
Die politischen Konsequenzen seiner Fehlkalkulation sind dramatisch. Das Land geht im besten Fall einer Blockadesituation entgegen, nämlich wenn keine Partei bei der zweiten Wahlrunde am Sonntag eine absolute Mehrheit erzielt – und im schlimmsten Fall dem gefährlichen neuen Experiment einer Zusammenarbeit zwischen dem proeuropäischen, liberalen Präsidenten und den nationalistischen, EU-skeptischen, Putin-nahen Rechtsextremen.
Längst verlassen die „Macronisten“ das sinkende Schiff
Einst ist Macron mit dem Versprechen angetreten, eine Politik zu machen, die den Extremen die Grundlage entzieht. Bei diesem Ziel ist er krachend gescheitert. Genau die Ränder machte er stark, indem er sich in der Mitte platzierte und sie zugleich aushöhlte. Längst verlassen die „Macronisten“, wie sein Lager genannt wird, das sinkende Schiff, sie orientieren sich neu. Dabei hat Macron nach sieben Jahren im Amt durchaus eine Bilanz vorzuweisen: Er zeigte sich präsent auf der internationalen Bühne, stärkte die Wirtschaft und die Industrie, senkte die Arbeitslosigkeit und beschloss während der Coronapandemie und der Energiekrise umfassende Staatshilfen – für die ihm heute niemand dankt. Auch seine Liberalisierung des Arbeitsmarktes und die Rentenreform waren zwar unbeliebt, aber notwendig.
Doch unabhängig von Sachentscheidungen werden Frankreichs Präsidenten immer auch am Auftreten gemessen. Bereits Macrons Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande waren regelrecht verhasst. Der eine galt als ordinär, der andere als zu zögerlich. Macron wird nun zu Recht seine Arroganz vorgeworfen, diese Überzeugung, alles selbst am besten zu können und zu wissen. Jüngstes Beispiel war seine überhastete Entscheidung von Neuwahlen, die Frankreich auf unabsehbare Zeit destabilisiert und Macrons Rolle in Europa schwächt.