In einer der herausforderndsten Phasen der Corona-Pandemie lässt die Politik zumindest Anzeichen erkennen, dass sie den Panikmodus verlässt. So sehr das überraschen mag, es ist genau richtig. Statt das Land hektisch in einen Weihnachts-Lockdown zu versetzten, wie es das Robert-Koch-Institut forderte, setzen Bund und Länder auf eine eher moderate Silvesterruhe. Das verschafft einer völlig ermatteten Bevölkerung etwas dringend benötigte Luft. Dabei gibt es gewiss keinerlei Grund, die Lage auch nur im Entferntesten zu verharmlosen. Im Gegenteil. Die Omikron-Variante des Virus ist weit ansteckender als die bisherigen.
Vor allem aber sind Geimpfte nicht so gut vor ihr geschützt, wobei nicht oft genug betont werden kann, dass Impfen und Boostern schwere Verläufe verhindern und deshalb die Intensivstationen entlasten helfen. Doch Omikron ist da, selbst nach den mildesten Prognosen wird die schiere Zahl an Infektionen und Erkrankungen nicht nur die Kliniken, sondern die gesamte Infrastruktur des Landes auf eine harte Probe stellen.
Das RKI forderte harte Kontaktbeschränkungen
Es ist gerade das Niederschmetternde an der neuen Variante, mit welcher Härte sie klarmacht, dass es keinen schnellen, einfachen Weg aus dieser Krise gibt. Sie kann noch Jahre dauern, vielleicht hört sie niemals völlig auf. Das heißt auch, dass sich die simplen Botschaften, mit der die Politik bisher argumentiert hat, endgültig überlebt haben. Allzu oft wurde den Menschen weisgemacht, dass schon hinter dem nächsten Hügel das Ende der Pandemie warte. Wenn erst der Impfstoff verfügbar ist... Wenn jeder sein Impfangebot erhalten hat... Wenn jeder doppelt geimpft und damit „vollständig geschützt“ ist... Doch der Pandemieverlauf ist ebenso wenig vorhersehbar wie die Politik fehlerfrei. So waren und sind bis heute immer wieder jene sattsam bekannten Maßnahmen wie Lockdowns, Zutrittsregeln und Kontaktbeschränkungen nötig. Begründet wurden sie jeweils mit den größtmöglichen Schreckensszenarien. Die ja nicht an den Haaren herbeigezogen sind, wie alle wissen, die täglich mit der Realität auf den Intensivstationen konfrontiert sind.
Eine Politik aber, die ständig den Teufel an die Wand malt und gleichzeitig Versprechen macht, die kaum zu halten sind, wird irgendwann nicht mehr ernst genommen. Notwendig ist jetzt eine Kommunikation, die die Menschen nie im Unklaren lässt, welche Gefahren drohen, aber ebenso sehr, welche Mittel es gibt, sie abzuwenden. Denn zu Hoffnungslosigkeit gibt es ja ebenso keinen Anlass wie zur Verzweiflung. Klar vermittelt werden muss zudem, welchen Beitrag der Staat zu leisten in der Lage ist und welchen er von den Bürgerinnen und Bürgern fordert. Zu den eifrigsten Mahnern und Forderern gehörte in der Pandemie der Mediziner Karl Lauterbach. Jetzt aber ist der SPD-Mann Teil der Bundesregierung, die das große Ganze im Blick haben muss: die Lage der Familien, das Überleben der Wirtschaft, den Zusammenhalt der Gesellschaft. So verwendet Lauterbach jetzt gern den Begriff der Arbeitshypothese. Das heißt in etwa: Im Moment ist das der Stand unserer Erkenntnisse und danach handeln wir. Das kann sich aber ändern, durch neue Virusvarianten, aber auch Fortschritte in der Medizin.
Die Menschen erwarten ehrliche Perspektiven
Die Menschen ertragen Klartext, erwarten ehrliche Perspektiven. Lauterbach muss nun genau wie die gesamte neue Regierung zwischen Dauererregung und drohender Abstumpfung, zwischen Abwarten und unüberlegtem Aktionismus eine neue Balance finden. Dies sind alles andere als normale Zeiten. Das verstehen die Leute. Aber auch in abnormalen Zeiten muss es so eine Art Normalität geben. Beim Fahren auf Sicht ist Panik wenig hilfreich.