Der Skandal um die EU-Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili erschüttert das politische Brüssel. Erhärtet sich der Verdacht, bedeutet dies nicht nur einen immensen Vertrauensverlust für die Abgeordneten aller Parteien. Es wäre eine Katastrophe für die gesamte EU.
Als Hüter westlicher Werte und Herz der europäischen Demokratie erklärt das Parlament Regierungen in den Mitgliedstaaten wie auch in weit entfernten Ländern gerne, wie wichtig Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind. Europas Volksvertreter gefallen sich in der Rolle der Moralkeulen-Schwinger, insbesondere im Kampf gegen Korruption. Oft genug haben sie auch das Recht dazu. Es ist die stärkste Waffe der Union, die jedoch entschärft wird, wenn nun selbst im eigenen Laden plötzlich von „bandenmäßiger Korruption und Geldwäsche“ die Rede ist. Wie glaubwürdig können künftig Grundwerte vertreten und Missstände, ob innerhalb der Gemeinschaft oder außerhalb wie etwa in Katar, angeprangert werden?
EU-Abgeordnete: Abgehoben und selbstsüchtig oder Hüter der Rechtsstaatlichkeit?
Hier bestätigen sich die in den allermeisten Fällen ungerechtfertigten Vorurteile vieler Menschen, die Parlamentarier als habgierig, abgehoben und selbstsüchtig empfinden. Gerade jenen 705 Abgeordneten im fernen Brüssel kreidet das Image an, überbezahlt zu sein und den EU-Apparat lediglich als Selbstbedienungsladen auszunutzen – auf Kosten der europäischen Steuerzahler. Nichts könnte zwar weiter von der Wahrheit entfernt sein.
Die überwältigende Mehrheit der Politiker kämpft unermüdlich für Demokratie und um politische Inhalte zum Wohl der eigenen Wähler. Aber wenn zahlreiche Bürger ohnehin schon frustriert und missmutig auf ihre Führungsfiguren in Berlin, Rom, Paris oder eben Brüssel blicken, dann wird dieser Skandal die Politikverdrossenheit in den Mitgliedstaaten nur noch weiter befeuern. Das ist gefährlich. Denn am Ende gewinnen jene Kräfte, die demokratische Strukturen am liebsten abschaffen würden.
Ungarns autokratischer Ministerpräsident Viktor Orban oder die Rechtspopulisten der deutschen AfD und des französischen Rassemblement National werden diese Affäre in ihrem Sinne ausschlachten. Um den langfristigen Schaden zu begrenzen, sollte die EU nun rasch handeln und in Zusammenarbeit mit der belgischen Justiz dafür sorgen, dass der Fall lückenlos aufgeklärt wird.
Es braucht strengere Regeln in Sachen Lobbying für Drittstaaten
Außerdem müssen die Parlamentarier jenes Schlupfloch schließen, das es in Sachen Lobbying-Regeln für Drittstaaten noch immer gibt. Denn obwohl in Brüssel vergleichsweise strenge Vorschriften gelten, ist die Einflussnahme durch Nicht-EU-Länder bisher leider von allen Transparenzregeln ausgenommen. Offenbar wurde das Problem unterschätzt, dass nicht nur Unternehmen und Interessenverbände ihre Vertreter aussenden, um Einfluss in der EU zu nehmen, sondern auch Staaten mit teils zweifelhaftem Ruf.
Künftig sollten dieselben Regelungen gelten wie für EU-Kommissare und Abgeordnete, die sich mit Wirtschafts-Lobbyisten treffen und diese Zusammenkünfte offenlegen müssen. Auch wenn sich mutmaßlich nur eine kleine Minderheit als bestechlich erwiesen hat, ein fauler Apfel verdirbt den ganzen Korb. Dabei darf nicht einmal der Eindruck entstehen, dass ein Staat politische Meinung in Brüssel kaufen kann.