Das als "Fortschrittskoalition" gestartete Ampel-Bündnis hat sich in die Sackgasse manövriert. Als es darauf ankam, konnte Kanzler Olaf Scholz von der SPD nicht zeigen, dass er den Laden noch im Griff hat. Es ist schon ein denkwürdiger Vorgang: Eine dringend nötige Gruppentherapiesitzung, die Aussprache über den Haushalt und viele umstrittene Fragen, beginnt am Sonntagabend und führt bis Montagnachmittag zu keinem Ergebnis.
In der Ampel-Koalition müssen tiefe Gräben überwunden werden
Wir erinnern uns: Lange nächtliche Sitzungen zur Klärung brisanter Streitfragen sollte es eigentlich nicht mehr geben. Zum Auftakt ihrer gemeinsamen Regierung hatten SPD, Grüne und FDP sich zu einer wertschätzenden Art des Umgangs bekannt. Doch die Vorsätze scheinen endgültig passé. Die Liste der Streitpunkte ist so lang geworden, dass eine ganze Nacht und ein halber Tag zur Klärung nicht mehr reichen. Hinzu kommt: Durchstrittene Nächte haben stets auch eine Botschaft nach außen. Seht her, so lautet sie, wir alle ringen zäh um unsere Positionen, streiten mit Inbrunst um die Anliegen unserer Wähler und geben keinen Zentimeter Boden freiwillig auf. Nur so können alle Parteien das, was rauskommt, als maximal möglichen Kompromiss verkaufen. Wenn aber gar nichts mehr herauskommt, wirft das kein gutes Licht auf das Trio und seinen Anführer Scholz.
Vor der Fortsetzung der Gespräche ist klar, dass es tiefe Gräben sind, die es zu überwinden gilt. Ginge es nur um Kleinigkeiten, hätten wohl alle Beteiligten die Peinlichkeit der abgebrochenen Sitzung vermieden. Was die Ampel jetzt braucht, ist die Abkehr vom sturen, buchstabengetreuen Abarbeiten ihres Koalitionsvertrags. Denn das Einigungspapier ist längst von der Geschichte überholt. An allererster Stelle steht etwa noch die Pandemie-Politik. Vom Ukraine-Krieg dagegen, der praktisch alle wirtschafts-, energie- und außenpolitischen Gewissheiten der vergangenen Jahrzehnte pulverisiert hat, ist natürlich keine Rede, er begann ja erst Monate später. Doch die Koalitionäre glaubten offensichtlich, einfach weitermachen zu können, wie vereinbart. Es gibt Ausnahmen, etwa die Verteidigung, die konsequenterweise auf der Prioritätenliste nach vorn rückte.
Regierung darf die Menschen nicht immer stärker belasten
Doch an anderen Stellen fehlt der Ampel diese Flexibilität. Etwa bei ihrem praktisch wichtigsten Anliegen: dem konsequenten Klimaschutz. Der, daran gibt es keinen Zweifel, ist und bleibt von zentraler Bedeutung. Doch mit welchem Nachdruck während der schlimmsten Energiekrise etwa neue, für die Bürger extrem teure Sanierungs- und Dämmpflichten oder Verbote bestimmter Heizungen durchgedrückt werden sollen, während gleichzeitig der Ausstieg aus der Atomkraft vollzogen wird, erweckt manchmal schon den Anschein der Gnadenlosigkeit. Zumal ein Aufwuchs an Auflagen und Pflichten im Gebäudesektor dazu beiträgt, dass der Bau dringend benötigter neuer Wohnungen praktisch zum Erliegen kommt. Umsteuern ist dringend nötig.
In Zeiten multipler Krisen mit offenem Ausgang darf die Regierung die Menschen nicht immer stärker belasten. Gerade ist in Berlin ein Volksbegehren gescheitert, das Klimaneutralität bereits 2030 statt 2045 gefordert hatte. Experten hielten das für unfassbar teuer. Wo Klimaschutz mit dem Rammbock durchgedrückt werden soll, wird er abgelehnt, das ist die Botschaft, die gerade die Grünen jetzt verstehen müssen. Die FDP aber darf nicht einfach nur blockieren. Alle Partner sollten vielmehr gemeinsam ganz genau ausrechnen, wo es am meisten Klimaschutz pro Euro gibt, statt weiter auf Ideologie pur zu setzen. Und der Kanzler hat dafür zu sorgen, dass es Ergebnisse gibt, nötigenfalls mit einem Machtwort. Nur so kann das noch was werden mit der Ampel.