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Kommentar: Kiew braucht eine klare Nato-Beitrittsoption

Kommentar

Kiew braucht eine klare Nato-Beitrittsoption

Simon Kaminski
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    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im April  bei seinem Besuch in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der mit Verve eine feste Zusage für eine Mitgliedschaft seines Landes in der Allianz fordert.
    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im April bei seinem Besuch in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der mit Verve eine feste Zusage für eine Mitgliedschaft seines Landes in der Allianz fordert. Foto: Efrem Lukatsky, dpa (Archivbild)

    Wolodymyr Selenskyj ist ausgezeichnet darin, Forderungen an seine westlichen Unterstützer mit einer mal mehr, mal weniger zugewandten Hartnäckigkeit so lange zu platzieren, bis der Widerstand sich langsam aufzulösen beginnt. Die Methode ist zwar zeitraubend, aber effektiv. Ob Haubitzen, Kampfpanzer oder Flugabwehrsysteme – am Ende konnte der ukrainische Präsident die Waffensysteme für seine Streitkräfte sichern. Nun soll die erprobte Strategie dazu führen, dass die Ukraine moderne Kampfflugzeuge in die Schlacht werfen kann. Aber Selenskyj hat ein weiteres, politisches Ziel fest im Auge: Er drängt immer vehementer darauf, dass sein Land die feste Zusage erhält, nach dem Krieg Mitglied der Nato zu werden.

    Selenskyj hat ein Datum im Blick: Am 11. Juli treffen sich die Präsidenten und Ministerpräsidenten des Bündnisses zum Nato-Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Von dort, so hofft Selenskyj, soll das klare Signal ausgehen, dass die Ukraine eine Zukunft in der mächtigsten Verteidigungsallianz der Erde hat.

    Eine Nato-Mitglidschaft ist erst nach dem Krieg denkbar

    Ob das gelingt, ist offen – auch wenn die Zustimmung für eine solche Einladung wächst. Der Schritt wäre so konsequent wie richtig. Natürlich ist eine Nato-Mitgliedschaft während des Krieges unrealistisch. Denn dann würde die Allianz doch noch direkt in den Krieg verwickelt werden. Doch schon die Option würde Kiew helfen, sich zu behaupten. Politisch und psychologisch. Denn der Westen könnte schlecht der Ukraine einen Beitritt fest zusagen, dann aber die militärische Hilfe drosseln.

    Es versteht sich von selbst, dass sich das Thema Nato erledigt hat, wenn der russische Präsident Wladimir Putin seinen kriminellen Feldzug doch noch siegreich beenden würde. Im Gegenteil, den ukrainischen Truppen müsste es gelingen, die Angreifer aus dem Land zu treiben. Selenskyj weiß, dass eine erfolgreiche Frühjahrsoffensive seine Position beim Nato-Gipfel im Juli stärken würde. Eine ausbaufähige Basis für diese Beitrittsoption gibt es bereits – die Nato-Erklärung von 2008. Damals kamen die Staatenlenker grundsätzlich überein, dass die Ukraine, die bereits 1997 eine Partnerschaft mit der Allianz eingegangen war, Mitglied werden solle. Was fehlte, war ein Zeitplan. Kritiker sprachen von einer Verlobung ohne Festlegung des Hochzeitstages.

    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im April bei seinem Besuch in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der mit Verve eine feste Zusage für eine Mitgliedschaft seines Landes in der Allianz fordert.
    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im April bei seinem Besuch in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der mit Verve eine feste Zusage für eine Mitgliedschaft seines Landes in der Allianz fordert. Foto: Efrem Lukatsky, dpa (Archivbild)

    Bis heute wird diskutiert, ob es ein Fehler war, dass die Ukraine 2008 nicht aufgenommen wurde. Ex-Präsident Bill Clinton war seinerzeit gegen den Beitritt – heute bereut er diese Position, da Putin ein Nato-Mitglied Ukraine im Februar 2022 kaum angegriffen hätte. Allerdings war das Land damals in dieser Frage gespalten. Innerhalb des Bündnisses gibt es auch heute Vorbehalte. Warum soll die Ukraine Mitglied der Nato werden, wenn Russlands Armee geschlagen ist oder sich – auch das ist nicht ausgeschlossen – nach einer Reihe von Niederlagen, die Putin das Amt kosten könnten, zurückzieht? Weil Russland nicht verschwinden, sondern weiterhin eine lange Grenze mit der Ukraine teilen wird. Es gibt keine Garantie, dass sich das Land im Falle einer Niederlage von seinem nationalistischen Imperialismus verabschiedet.

    Russland fühlt sich bedroht? Ein zynisches Statement nach dem Überfall

    Vorhersehbar war, dass jetzt wieder von vielen Seiten gewarnt wird, dass Moskau sich durch eine Nato-Erweiterung bedroht fühlen würde. Kremlsprecher Dmitri Peskow spricht von einer "ernsten, bedeutenden Gefahr für unser Land, für seine Sicherheit". Ein zynisches Statement, es sind russische Soldaten, die ein friedliches Nachbarland überfallen haben und fast täglich abscheuliche Kriegsverbrechen begehen.

    Polen, die baltischen Staaten und aktuell Finnland sind der Nato nicht beigetreten, um Russland eines Tages anzugreifen, sondern um sich vor der waffenstarrenden Diktatur im Osten zu schützen. Es ist verstörend, dass diese Zusammenhänge auch in Deutschland immer wieder ignoriert werden.

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