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Kommentar: Jetzt muss es um die Wirtschaft gehen, Frau von der Leyen!

Kommentar

Jetzt muss es um die Wirtschaft gehen, Frau von der Leyen!

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    Ursula von der Leyen will mit der Besetzung von Spitzenposten ein klares Zeichen setzen.
    Ursula von der Leyen will mit der Besetzung von Spitzenposten ein klares Zeichen setzen. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

    Hoch oben im 13. Stock des Berlaymont, des Hauptquartiers der EU-Kommission, liegt das Büro von Präsidentin Ursula von der Leyen. Kritiker lästern auch gerne über ihren Elfenbeinturm. Denn in der Pastellblase aus roséfarbenem Sofa und dazu passenden Sesseln scheint die Welt selbst dann noch in Ordnung, wenn im Rest des Hauses Aufruhr herrscht wie an diesem Montagmorgen. Da sorgte der französische EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen Thierry Breton für einen Paukenschlag, als er überraschend zurücktrat und seinen Brief als Revanche an der Brüsseler Behördenchefin nutzte. Von der Leyen habe Emmanuel Macron „vor einigen Tagen“ gebeten, seinen Namen als Kommissionskandidat „aus persönlichen Gründen“ zurückzuziehen, um ein „angeblich einflussreicheres Ressort“ zu erhalten – „ein weiteres Zeugnis fragwürdigen Regierens“, ätzte der Mann mit dem Riesenego trotzig.

    Auch wenn sein Schritt in Brüssel vordergründig für Chaos sorgte, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass von der Leyen angesichts der Nachricht erleichtert gewesen sein dürfte. Breton sah sich nämlich gern als Europas Mann für alles. Seine Zuständigkeitsfantasien gepaart mit Aktionismus und einer PR-Besessenheit hätten den Erfolg ihrer nächsten Amtszeit gefährdet. Tatsächlich war sein politisches Ende offenbar längst beschlossen, wie die schnelle Nominierung von Außenminister Stéphane Séjourné nur wenige Stunden Rückzug nahelegt. Doch welches Portfolio hat von der Leyen Paris im Gegenzug versprochen? An diesem Dienstag will die Deutsche ihr neues Kabinett präsentieren, inklusive der Aufgaben der Spitzenbeamten.

    Klimapolitik, Ukraine-Krieg, Wettbewerbsfähigkeit: Diese Themen muss die neue EU-Kommission angehen

    Es ist eine entscheidende Weichenstellung für die neue Kommission. In den vergangenen Jahren stand die Klimapolitik im Vordergrund, und auch Putins Krieg gegen die Ukraine. Jetzt geht es darum, Europas Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Denn im Vergleich zu wirtschaftsstarken Ländern wie den USA und Aufsteigern wie China droht der alte Kontinent zurückzufallen. Die Versuchung, der Wirtschaft mit neuen Schulden einen vermeintlichen Boost zu verabreichen, ist groß. Doch das wäre der falsche Weg.

    Im Club der Sparsamen, angeführt von Deutschland, herrscht Nervosität. Sie befürchten, dass wichtige Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltsressorts in die Hände von südlichen Vizepräsidenten aus Italien oder Frankreich fallen könnten und damit an hochverschuldete Länder, die für laxere Regeln und neue gemeinsame Schulden eintreten. Ein bisschen wäre es so, als würde man den Bock zum Gärtner machen. Auch jene Spekulationen, nach denen Polen den Haushalt zugewiesen bekommen könnte, lösten Beunruhigung aus. Aber ob von der Leyen diesen mutigen Schritt zu gehen wagt, darf man bezweifeln. Der osteuropäische Staat war mit 8,2 Milliarden Euro im Jahr 2023 abermals der größte Nettoempfänger in der Gemeinschaft. Dass sich traditionell Nettozahler um diesen Bereich kümmern, gehört zu den sinnvollen Gepflogenheiten in der Gemeinschaft.

    Wettbewerbsfähigkeit ist Ursula von der Leyen besonders wichtig

    Bis zuletzt feilschte die Kommissionsspitze mit den EU-Hauptstädten. In Brüssel vergleichen sie die Besetzung der 26 Stellen gerne mit der Quadratur des Kreises. Jeder EU-Mitgliedstaat schickt einen Kandidaten beziehungsweise eine Kandidatin, wobei die Sache mit der Genderparität bis auf von der Leyen niemand zu interessieren schien. Gleichwohl will jedes Land eines der begehrten Top-Portfolios. Aktuell sind das jene Ressorts, in deren Beschreibungen das geflügelte Wort Wettbewerbsfähigkeit auftaucht. Die Präsidentin hat diese neben der Verteidigung zur obersten Priorität erkoren. Und es drängt, wie der 400-seitige Weckruf von Mario Draghi, Ex-Chef der Europäischen Zentralbank und früherer italienischer Ministerpräsident, vergangene Woche mit seinem schonungslosen Bericht zum Thema verdeutlichte. Man sei „an einem Punkt angelangt, an dem wir, wenn wir nicht handeln, entweder unser Wohlergehen, unsere Umwelt oder unsere Freiheit aufs Spiel setzen müssen“, so die düstere Prognose.

    Die USA werfen mit Milliarden um sich mit dem Ziel, zukunftsträchtige Industrien anzulocken oder im Land zu halten. China kontert mit massiven Subventionen und exportiert billig nach Europa. Die EU braucht dringend eine Strategie, um im Wettbewerb nicht völlig den Anschluss zu verlieren. Weniger Bürokratie und Regulierung, mehr Investitionen und Wachstum, schnelle Reformen – das hat man alles schon zigfach gehört, passiert ist trotzdem erschreckend wenig. Von der Leyen stellte zwar einen „Saubere-Industrie-Deal“ in Aussicht und damit ein Gesetzespaket, das Europas Industrie stärken soll, ohne das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 aufzugeben. Jetzt wird es höchste Zeit, dass sie erklärt, was das im Detail bedeutet. Es wird von der Qualität des neuen Kommissionsteams abhängen, ob die Gemeinschaft den Mut und den Willen findet, ihre Wirtschaftspolitik grundlegend neu auszurichten. Denn zur Wahrheit gehört, dass der Erfolg des Projekts EU nicht nur aus der Wahrung von Frieden und Sicherheit rührt, sondern zu einem bedeutenden Teil aus dem Versprechen, den Wohlstand ihrer Bürger zu sichern.

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