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Kommentar: Das Bürgergeld steigt zu stark

Kommentar

Das Bürgergeld steigt zu stark

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    Der Bürgergeld-Regelsatz von 563 Euro im Monat soll künftig komplett wegfallen, wenn jemand eine zumutbare Arbeit nicht annimmt.
    Der Bürgergeld-Regelsatz von 563 Euro im Monat soll künftig komplett wegfallen, wenn jemand eine zumutbare Arbeit nicht annimmt. Foto: Monika Skolimowska, dpa-Zentralbild/dpa

    Wer in Deutschland partout nicht arbeiten gehen will, muss das nicht tun. Er wird von der Solidargemeinschaft über Wasser gehalten. Und das im Zweifel über Jahrzehnte. Mit dem Jahreswechsel ist die Grundsicherung – also Bürgergeld oder davor Hartz-IV – um über zehn Prozent gestiegen: von 502 auf 563 Euro monatlich. Die Solidargemeinschaft finanziert außerdem Krankenversicherung und Wohnung. Je nach Wohnort kommen damit unter den Strich zwischen 1200 und 1500 Euro zusammen, die ein Bedürftiger jeden Monat erhält

    Es gibt Millionen in Deutschland, die arbeiten gehen und am Ende nach Steuern und Sozialabgaben kaum mehr auf dem Lohnzettel haben. Es ist daher kein Wunder, dass die kräftige Anhebung der Grundsicherung das Gerechtigkeitsgefühl der Mehrheit hierzulande verletzt. Der Eindruck, dass es nicht fair zugeht, wird verstärkt durch die in allen Branchen grassierende Personalnot. Rund zwei Millionen offene Stellen warten auf Bewerber, wie das zur Bundesagentur für Arbeit gehörende Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt. Wer einen Job sucht, der kann derzeit rasch einen finden. Doch für die Sucher stellt sich die Frage, ob sich das rechnet und am Ende mehr als 1200 Euro übrig bleiben. 

    Bürgergeld sendet das falsche Signal: Arbeit ist mehr als Broterwerb

    Welchen Effekt das hat, lässt sich an den Flüchtlingen aus der Ukraine sehen. Von ihnen arbeitet hierzulande ein Viertel, während es in Dänemark drei Viertel sind. Das deutsche Sozialsystem schafft falsche Anreize, die Politik setzt an den falschen Stellen an. Die Grundüberzeugung müsste wieder lauten, dass Arbeit mehr ist als Broterwerb. Sie strukturiert den Tag, bettet ein in das Geflecht der Kollegen und sorgt für das stolze Gefühl, etwas geschafft zu haben. Arbeit heißt Würde. 

    Die Arbeiter pflegten früher einen eigenen Klassenstolz, die SPD war ihr politischer Arm. Den Stolz auf die eigene Kraft stellt die Partei heute nicht mehr nach vorn.
    Die Arbeiter pflegten früher einen eigenen Klassenstolz, die SPD war ihr politischer Arm. Den Stolz auf die eigene Kraft stellt die Partei heute nicht mehr nach vorn. Foto: Roland Weihrauch, dpa

    Die SPD als Partei der Arbeit hat sich von dieser Überzeugung gelöst und macht es attraktiver, nichts zu machen. Sie will damit ihr Hartz-IV-Trauma überwinden, zieht sich damit aber die Unbill der Bevölkerung zu. Um dem zu begegnen, will Arbeitsminister Hubert Heil die Sanktionen verschärfen und den Empfängern von Bürgergeld das Geld streichen, die mehrfach und ohne Grund Stellen ablehnen. 

    Es ist ein Vorstoß für die Galerie, er steht auf juristisch schwankendem Element und wird nach Einschätzung von Arbeitsmarktexperten in der Praxis keine Rolle spielen. Nicht nur die SPD, sondern alle staatstragenden Parteien dieses Landes sind dafür verantwortlich, dass es sich ökonomisch rechnet, zu Hause zu bleiben und auf den Scheck von Vater Staat zu warten. 

    Wer nicht üppig verdient, ist auf dem Wohnungsmarkt der Dumme

    Das hängt mit der Wohnungsbaupolitik zusammen, die ein Desaster genannt werden muss. In Großstädten und ihren Speckgürteln muss man bezahlbare Wohnungen mit der Lupe suchen. Noch immer gehen mehr Sozialwohnungen verloren als neue hinzukommen. Wer aber einen guten Teil seines Geldes für die Miete ausgeben muss, entscheidet sich eher dafür, sich die Wohnung über das Bürgergeld komplett bezahlen zu lassen. Vermieter bevorzugen außerdem die sichere und regelmäßige Bezahlung durch das Amt. Wer arbeitet und dabei nicht üppig verdient, ist auf dem Wohnungsmarkt der Dumme.

    Ein ähnliches Versagen der Parteien ist die fehlende Entlastung genau jener Einkommen bei Steuern und Abgaben, die zwar vor jeder Wahl versprochen wird, aber danach abgesagt wird, weil über die Gegenfinanzierung keine Einigkeit zu erzielen ist. Anders als katastrophal kann auch die Bildungspolitik nicht bezeichnet werden, für die ebenfalls alle staatstragenden Parteien im Bund und in den Ländern zuständig sind. Weil der Bildungserfolg hierzulande vom Elternhaus abhängig ist und es Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern verdammt schwer haben, wären bessere Kindergärten und Schulen das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit. Gezielt in Lehrer, Erzieher und Kitas und Schulgebäude zu investieren, hätte einen erheblichen Mehrwert für die Gesellschaft als Ganzes. Stattdessen wird mehr Geld in die Passivität gesteckt. Der deutsche Sozialstaat ist im Ungleichgewicht. 

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