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Kommentar: In der Flüchtlingsfrage steht jetzt die Zukunft Europas auf dem Spiel

Kommentar

In der Flüchtlingsfrage steht jetzt die Zukunft Europas auf dem Spiel

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    Angela Merkel ist mit ihrer Flüchtlingspolitik isoliert.
    Angela Merkel ist mit ihrer Flüchtlingspolitik isoliert. Foto: Michael Kappeler (Symbol, dpa)

    Die Europäische Union hat im Laufe ihrer langen Geschichte viele Krisen gemeistert oder doch so weit entschärft, dass die Einheit Europas nie in Gefahr geriet. Am Ende obsiegte immer die Erkenntnis, dass der Laden im Interesse der Zukunft des Kontinents zusammengehalten werden muss und es dazu der Kompromissbereitschaft bedarf. So heillos zerstritten wie in der Flüchtlingskrise jedoch war die EU noch nie. Die Union steuert auf jenen Punkt zu, an dem erstmals ein Bruch möglich erscheint. Die Flüchtlingsfrage wird zur Schicksalsfrage der EU.

    Nicht nur, weil diese moderne Völkerwanderung Europas politische und kulturelle Landschaft verändern wird. Sondern auch, weil diese existenzielle EU-Krise das Zerstörungspotenzial der mühsam eingedämmten Eurokrise übersteigt. Auf dem Spiel steht jetzt tatsächlich die Zukunft der EU, die ja – bei aller berechtigten Kritik im Einzelnen – ein Segen für die Völker Europas war und ist. Wenn die EU im Umgang mit dem bisher ungesteuerten Flüchtlingszustrom keine gemeinsame Linie und keine gemeinsame Lösung findet, dann wird der Bund der 28 Staaten auseinanderfliegen – mit verheerenden Folgen für die Wirtschaft und für die Zukunftsaussichten von 500 Millionen Menschen.

    Es ist einsam geworden um die Kanzlerin

    Noch ist es nicht so weit. Noch hat es die Politik in der Hand, den Rückfall in nackte Nationalstaaterei zu verhindern und die Flüchtlingszahlen mit vereinten Kräften auf ein verkraftbareres Maß zu verringern. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Wie ernst die Lage ist, zeigt der Beschluss Österreichs, im Bunde mit neun Balkanstaaten den Ansturm von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Armutsmigranten an den eigenen nationalen Grenzen zu stoppen – auch auf das Risiko hin, das Not leidende EU-Mitglied Griechenland in eine Art Flüchtlingslager der EU umzufunktionieren.

    Die Regierung Faymann, die so lange tapfer an der Seite Merkels stand, ist damit zur scharfen Kritikerin der Politik der offenen Grenzen geworden. Berlin empört sich – und findet es insgeheim ganz gut, dass das Durchwinken Richtung Deutschland für den Augenblick vorbei ist. Die Länder auf der „Balkanroute“ handeln, weil die von der Kanzlerin seit Monaten beschworene europäische Lösung in weiter Ferne liegt. Nichts funktioniert – weder der Schutz der EU-Außengrenze noch die Verteilung der nach Deutschland drängenden Menschen auf ganz Europa.

    Der hübsche Plan, die Türkei als Grenzwächter zu engagieren, führt im (zweifelhaften) Fall des Gelingens zur Abhängigkeit von dem Autokraten Erdogan. Es ist einsam geworden um die Kanzlerin, auf deren Wort eben noch ganz Europa gehört hat. Richtig ist: Fast alle Staaten, voran das große Frankreich, lassen die Deutschen im Stich. Von wegen Solidarität. Wahr ist aber auch: Es war und ist der deutsche, mit hohem moralischen Anspruch eingeschlagene Sonderweg offener Grenzen, den die anderen als anmaßend empfinden. Sollen die Deutschen doch, wie es in Paris oder Warschau heißt, die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockt haben.

    Die Flüchtlingsfrage lässt sich nur mit einem Kompromiss lösen

    Auch diese EU-Megakrise ist nur mit einem Kompromiss zu lösen. Dies erfordert zweierlei. Ganz Europa muss begreifen, dass die Flüchtlingsfrage alle betrifft und jeder Staat seinen humanitären Beitrag leisten muss, um den Neuankömmlingen Zuflucht zu bieten und die Lage in ihren Herkunftsregionen zu verbessern. Und Merkel muss einsehen, dass es Europa an ihrer Begeisterung für die „Willkommenskultur“ gebricht. Ohne ein klares, auch an den Grenzen gesetztes Signal für die begrenzte Aufnahmefähigkeit Deutschlands wird die Kanzlerin weder die Mehrheit der eigenen Bürger noch die EU für ihren Weg gewinnen.

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