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Kommentar: Impfpflicht-Streit: In der Corona-Krise wird es Zeit für den großen Wurf

Kommentar

Impfpflicht-Streit: In der Corona-Krise wird es Zeit für den großen Wurf

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    Von einer Corona-Infektion genesene Menschen gelten, wenn sie zweimal geimpft sind, wie „geboostert“. So lautet die Regel – nur die üblichen Corona-Apps können damit leider nichts anfangen.
    Von einer Corona-Infektion genesene Menschen gelten, wenn sie zweimal geimpft sind, wie „geboostert“. So lautet die Regel – nur die üblichen Corona-Apps können damit leider nichts anfangen. Foto: Sven Hoppe, dpa (Symbolbild)

    Laut wird in der Politik gestritten um die Durchsetzung der Impfpflicht im Pflege- und Gesundheitsbereich. Laut rufen viele in der Politik nach Konzepten für Lockerungen, obwohl diese längst in der Schublade liegen. Doch laut sollte eigentlich der Ruf nach Konzepten für den Weg aus der Krise sein. Nach Vorbereitungen auf den nächsten Corona-Winter, der ein Vielfaches wahrscheinlicher ist als Schnee an Weihnachten. Doch dieses Thema klingt weniger populär als der Ruf nach einem hitverdächtigen „Freedom-Day“.

    Zwei neue Entwürfe für eine Impfpflicht aus Ampel und Union

    So arbeitet ein anderer Teil der Politik seit Wochen recht leise an Entwürfen für eine Impfpflicht. Abgeordnete von SPD, Grünen und – ja auch – der FDP legen nun den weitreichendsten Entwurf vor: Drei Impfdosen muss demnach jeder Erwachsene nachweisen, sonst drohen Bußgelder bis zu 2400 Euro. Die Unionsfraktion bietet nun auch eine Stufenlösung nach Alter an, die erst später nach Bedarf scharf gestellt werden soll.

    Doch seit dem heftigen Streit um die Pflege-Impfpflicht lastet eine schwere Hypothek auf der Debatte um die Impfpflicht für alle oder auch nur Ältere. Anstatt die Bevölkerung interessiert auf den Weg der Entscheidung mitzunehmen, droht die Diskussion im Parteienstreit zerrieben zu werden.

    Söders Kritik ist berechtigt, sein brachiales Vorgehen nicht

    Inhaltlich hatte Bayerns Ministerpräsident mit seiner Kritik an den offenen Umsetzungsfragen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht recht: Von den zuständigen Gesundheitsministern aller Bundesländer, von Kliniken, Heimträgern und Kommunen gab es ähnliche Kritik. Aber sachlich. Mit dem Ton und der brachialen Form, mit der CSU-Chef Markus Söder aber die Gesetzesumsetzung zertrümmerte, löste er selbst in Teilen des bürgerlich-konservativen Lagers Entsetzen aus: Ein Regierungschef, der den Eindruck erweckt, sich nicht an Gesetze halten zu wollen, rüttelt an geradezu heiligen Grundfragen der Rechtsordnung.

    Inzwischen kehrt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek die Scherben von Söders Ausflug in den Porzellanladen der sensiblen Fragen von Recht und Impfängsten zusammen, ohne dabei an Glaubwürdigkeit einzubüßen. Der CSU-Gesundheitsminister erweist sich einmal mehr in der Pandemie als Glücksfall für seine Partei, deren Reihe an charismatischen Figuren immer lichter wird.

    Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Impfpflicht ist mutlos

    Dabei wäre sogar Glaubwürdigkeit ein Punkt, den Söder in der Impfdebatte nutzen könnte: Zusammen mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann war er einer der einzigen Spitzenpolitiker, die sehr früh eine allgemeine Impfpflicht nie ausschließen wollten, während andere dies kategorisch ablehnten und nun zurückrudern. Doch mit den aktuellen Streitereien und dem mutlosen Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion droht sich die Impfpflicht-Debatte im politischen Klein-Klein zu verlieren.

    Auch die FDP-Spitze versteckt sich hinter verfassungsrechtlichen Bedenken, obwohl sie von den Karlsruher Richtern mehrmals eines Besseren belehrt wurde. Mit dem Ansatz, die Politik dürfe nur nach möglichst milden Maßnahmen greifen, machen die Liberalen Parlament und Regierung unnötig klein. Es gilt nicht nur, einen Kollaps des Gesundheitssystems zu vermeiden, sondern Deutschland endlich aus der Krise zu führen.

    Das Risiko des Scheiterns der Impfpflicht darf keine Ausrede sein

    Nun wird es Zeit für einen großen Wurf. Es gibt zwar keine Garantie, dass der Wurf ins Schwarze trifft und eine Impfpflicht Corona-Maßnahmen nächsten Winter tatsächlich überflüssig macht. Doch es gibt derzeit kein besseres Konzept. Ein Risiko des Scheiterns darf keine Ausrede für Verzicht auf Vorsorge sein. Bislang hat die Politik das Coronavirus noch vor jedem Winter fatal unterschätzt.

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