Der erste Impuls der Empörung sagt, die Union hat recht. Wer in Deutschland auf einer Demonstration die Gründung des Kalifats fordert, hat hier nichts verloren. In dieser Staatsform ist die weltliche und geistliche Macht in der Person des Kalifen vereint. Das Zusammenleben der Menschen ist in jenem Staate durch die Scharia bestimmt, der islamischen Rechtsordnung, die sich aus dem Koran und der Sunna ableitet. Ein Kalifat ist mit der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes und der Gewaltenteilung unvereinbar. Doch was folgt daraus?
Denn an diese Feststellung der Unvereinbarkeit schließt sich die Frage an, ob die Forderung nach dem Kalifat mit der freiheitlichen Grundordnung nicht doch vereinbar ist. Und zwar im Sinne der Meinungsfreiheit, die das Elixier jeder Demokratie ist. Im Rang ebenbürtig ist die Versammlungsfreiheit, das Recht zu demonstrieren.
Die Meinungsfreiheit gilt auch für Gegner des Grundgesetzes
Beide Grundrechte müssen weit gefasst sein. Die Meinungsfreiheit schließt – mit Einschränkungen – auch radikale Positionen ein. Sie schützt auch Gegner des Grundgesetzes. Das ist das Paradoxon der Demokratie. Der Umfang der Meinungsfreiheit wird in Deutschland durch Gerichte gezogen, deren Urteile aber je nach Einzelfall unterschiedlich ausfallen.
Neben dieser Grundrechtsabwägung stößt das Vorgehen gegen den Islamismus auch an praktische Grenzen des Staates. Keine Frage: Wenn hinter der bloßen Parole "Kalifat ist die Lösung" ein politisches Programm steht, das von Islamisten vorangetrieben wird, dann sind Polizei und Justiz gefordert.
Das Problem ist, dass beide Institutionen unter schwerer Last arbeiten, Prozesse langwierig sind und viele Verfahren eingestellt werden. Der Apparat ist überfordert, wenn es bei Demonstrationen zu einer großen Masse von Rechtsverstößen kommt, über die hernach die Gerichte urteilen sollen und sich gegebenenfalls weitere Ermittlungen anschließen.
Die volle Härte des Rechtsstaats gegen militante Muslime?
In den Tagen nach Demonstrationen mit unappetitlichen Forderungen oder gewalttätigen Ausschreitungen ertönt die Forderung nach der vollen Härte des Rechtsstaats so sicher wie das Amen in der Kirche. Zu diesem Ritual gehören auch Vorschläge, die Gesetze zu verschärfen.
Genau so geschieht es in diesen Tagen nach der Demonstration in Hamburg. Unverzügliches Abschieben hört sich konsequent an. Doch gegenwärtig sind 50.000 Ausländer ohne Bleibeperspektive ausreisepflichtig. Die Behörden tun sich schwer damit. Der Entzug von Sozialleistungen für Gegner der Demokratie dürfte am Sozialstaatsurteil des Verfassungsgerichts scheitern, wonach der Staat das materielle Existenzminimum zu sichern hat.
Die Verschärfung von Paragrafen bringt wenig, wenn Recht nicht durchgesetzt werden kann. Der Kampf gegen Islamisten ist kein leichter. Das Grundgesetz fordert vom Einzelnen kein Bekenntnis zu einer bestimmten Lebensweise. Die Meinungsfreiheit gilt beinahe umfassend, die Ressourcen von Polizei und Justiz sind endlich.
Eine vielgestaltige Gesellschaft wird damit leben müssen, dass ein breiter Konsens nur noch selten gefunden werden kann und das politische Spektrum zerfasert. Die Sicherheitsbehörden müssen sich auf Gruppen, Vereine und Anführer konzentrieren, die gegen die Republik arbeiten. Das Strafrecht ist aber kein Instrument für Integration, gleichwohl bleibt ein bitterer Beigeschmack.