Dieser kleine Text muss aus gegebenem Anlass an einem Grab beginnen, und zwar dem von Nikos Kazantzakis. Auf diesem steht geschrieben: „Ich erhoffe nichts, ich fürchte nichts, ich bin frei.“ Nun kann man sich fragen, was dieser Spruch des Autors von „Alexis Sorbas“ mit Ostern zu tun hat, wo es doch zuallererst um die Hoffnung und nichts als die Hoffnung gehen soll. Dennoch fällt er mir ein, schaut man inmitten all der Krisen, von Klima über Krieg bis hin zu den Katastrophen auch im Kleinen, auf diese verunsicherte Gesellschaft, die sich in der frustrierten Folge umso mehr auf die je eigene Parzelle zurückzieht – und sich damit allerdings nur noch unfreier, hoffnungsloser macht. Was auf den ersten Blick nämlich wie nach FDP oder dem ursprünglich erfolgreichen Konzept des Individualismus klingen mag, stammt zum einen aus einer anderen Zeit. Und weist zum anderen auf die unsere – in der die Freiheit des Individuums sich längst ins Negative, nur noch auf sich selbst gedreht zu haben scheint: Ich, ich, ich.
Wir reden ja nicht einmal mehr geregelt miteinander.
Man sieht das in den sozialen Netzwerken nicht nur an unzähligen Selfies, beim Pizza essen, vor der Grabeskirche, whatever, das wären ja schier noch harmlose Spielarten dieses egozentrischen Welt- beziehungsweise Selbstbildes, man sieht es vor allem aber auch an kaum noch zivilisatorische Mindeststandards erfüllenden Streitigkeiten um jede noch so kleine Partikular-Betroffenheit. Man könnte sagen: Früher war die Grenze von Freiheit die des anderen. Heute ist es das eigene „Ich“, das sonst wie erschüttert, beeinträchtigt wird oder zumindest sich so fühlt – vom Nachbarn, der den Giersch nicht ordentlich rupft bis hin zur Kollegin, die gendert, dem Typen, der den Taurus liefern will, das Klima beschießt, Agrardiesel streicht oder das Bürgergeld, während der Fuchs in der Häschenschule neuerdings Mohrrüben mümmelt, was auch immer. Invertierte Befindlichkeiten.
Jeder einzelne erwartet geradezu, dass er jeweils im absoluten Recht einen nicht verhandelbaren Anspruch hat – und haut dementsprechend rein. Als ob es ein solches Recht gäbe und demgegenüber die Bergpredigt (ja, es ist Ostern) oder auch den kategorischen Imperativ (ja, es ist auch Kant-Jahr) nicht. Die linke Wange. Das eigene Handeln als Maxime einer allgemeinen Gesetzgebung. Die uralte, Goldene Regel. Wir aber: Reden nicht einmal mehr geregelt miteinander. Und weil das so ist, sollen es also umso mehr ebenjene jenseits des Gartenzauns richten, den Müll trennen, die Demokratie retten, bessere Politik machen, Tore schießen (okay, die Fußballer haben zuletzt gewonnen, aber dieses Trikot!), wie überhaupt die Stimmung besser werden muss. Hoffnung.
Man sollte es also umdrehen: „Ich erhoffe nichts“ bedeutet eigentlich, nichts zu erwarten. Dass erst einmal ein jeder selbst, nicht die anderen verantwortlich sind, ich aber als dergestalt freier Mensch umgekehrt stets für ebendiese ohne Furcht auch vor Enttäuschung. Sorry, das klingt jetzt alles vielleicht sehr pastoral (Ostern), aber weiter auf diesem Weg wie jetzt schaufeln wir jedenfalls eine Grube. Also uns allen, Völkern, Nachbarn, überempfindlichen und darob streitsüchtigen Dackeln.
In Kazantzakis’ anderem Buch, „Die letzte Versuchung“, geht die Erlösungsgeschichte mehr so halb halb auf, aber genau das macht sie so menschlich. Denn egal, ob das Grab leer ist oder nicht – Mensch sein trotz alledem, das wäre wirklich Hoffnung. Und die gibt es nicht woanders, gibt es nicht bei Lieferando.