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Kommentar: Hat Liz Truss den Ernst der Lage erkannt?

Kommentar

Hat Liz Truss den Ernst der Lage erkannt?

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    Liz Truss hat sich bei den Tories durchgesetzt.
    Liz Truss hat sich bei den Tories durchgesetzt. Foto: Jacob King/PA Wire, dpa

    Es ist nie ein gutes Zeichen für die aktuelle Politriege, wenn sich ein Ex-Regierungschef noch einmal einmischt, zumal mit derart drastischen Worten, wie es der ehemalige britische Premierminister Gordon Brown zuletzt getan hat. Der Politiker der sozialdemokratischen Labour-Partei warnte im August, Großbritannien steuere im Winter auf eine humanitäre Katastrophe zu. Millionen Menschen drohe bittere Armut, weil sie sich die hohen Lebenshaltungskosten in dem Land nicht mehr leisten könnten. Die Adressaten des drastischen Zwischenrufs waren klar: der scheidende Premier Boris Johnson und seine beiden möglichen Nachfolger Rishi Sunak und Liz Truss. Besonders Truss, die nun zur neuen Premierministerin gekürt wird, scheint die Krise bisher einfach zu ignorieren.

    Wochenlang befand sich Großbritannien in einem sonderbaren Sommerschlaf: Boris Johnson feierte seine Hochzeit, urlaubte erst in Slowenien und dann noch einmal in Griechenland. Rishi Sunak und Liz Truss tingelten in ihrem Nachfolge-Duell durch das Land, um möglichst viele der 160.000 Tory-Mitglieder auf ihre jeweilige Seite zu ziehen. Während die Inflationsrate immer höher stieg und die Energiepreise explodierten, ließ Liz Truss, damals als Außenministerin immerhin Mitglied der Regierung, die Journalisten wissen, sie halte es für "bizarr", sich bereits vor Ende des Wahlkampfes um Wege aus der Krise zu kümmern.

    Liz Truss muss jetzt zur Krisenmanagerin werden

    Dabei ist die wirtschaftliche Lage in Großbritannien so schlecht wie seit 40 Jahren nicht mehr. Die englische Zentralbank sagt bis Ende des Jahres eine Inflationsrate von fast 14 Prozent voraus. Schon jetzt können sich viele Menschen das immer teurer werdende Leben nicht mehr leisten. Die Reallöhne gehen so stark zurück wie seit 1977 nicht mehr, bis zum kommenden Jahr könnte nach einer neuen Studie der Denkfabrik Resolution Foundation jeder fünfte Brite und jede fünfte Britin in die Armut abrutschen. Dazu kommt ein in Teilen marodes Gesundheitssystem: Es mangelt an Ärzten und manche Notaufnahmen sind so überbelegt, dass Patientinnen und Patienten stundenlang im Krankenwagen ausharren müssen.

    Auch nun, da Truss in die Downing Street einzieht, ist unklar, ob sie den Ernst der Lage erkannt hat. Zu oft hat sie in der Vergangenheit ihre Positionen gewechselt, versprach allen so gut wie alles und stellte im Ringen um die Gunst der konservativen Parteimitglieder immer das in Aussicht, was den Besserverdienern im Land zugutekommt: Steuersenkungen und Deregulierung, ganz im Sinne von Ex-Premierministerin Margaret Thatcher, der Truss nicht nur optisch, sondern auch rhetorisch nacheiferte.

    Liz Truss legt sich die Dinge oft so zurecht, wie es ihr passt

    Immer wieder legt Truss sich die Dinge so zurecht, wie es ihr gerade passt. Fachleuten spricht sie die Expertise ab, wirtschaftliche Fakten ignoriert sie. Würde die neue Premierministerin alles umsetzen, was sie als Kandidatin versprochen hat, würde das 80 Milliarden Pfund kosten, rechnete die britische Zeitung The Times gerade erst vor. "Urlaub von der Realität" nannte selbst der konservative Ex-Minister Michael Gove ihre Vorschläge.

    In der Downing Street muss Liz Truss sich nun entscheiden, für wen sie Politik machen will: Für die 160.000 Tory-Mitglieder, die in der Mehrheit als alt, weiß und vermögend gelten, oder für alle 67 Millionen Britinnen und Briten, von denen viele die Auswirkungen der Wirtschaftskrise direkt zu spüren bekommen. Auf dem Spiel steht viel: Glaubt man den Vorhersagen, dann sieht Großbritannien nicht nur einem düsteren Winter, sondern auch düsteren Jahren entgegen. Liz Truss wird erst beweisen müssen, dass sie nicht nur Versprechungen machen, sondern auch ihr Land aus der Krise führen kann.

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