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Kommentar: Hände weg von der Schuldenbremse!

Kommentar

Hände weg von der Schuldenbremse!

Rudi Wais
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    Die Schuldenbremse kann nach Einschätzung von Kanzleramtschef Helge Braun in den kommenden Jahren nicht eingehalten werden - der CDU-Politiker plädiert für eine Grundgesetzänderung.
    Die Schuldenbremse kann nach Einschätzung von Kanzleramtschef Helge Braun in den kommenden Jahren nicht eingehalten werden - der CDU-Politiker plädiert für eine Grundgesetzänderung. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Die Union hat ihren Wählern in den vergangenen 15 Jahren einiges zugemutet. Im Schweinsgalopp hat sie sich von der Atomkraft und der Wehrpflicht verabschiedet, sie hat eine Frauenquote, die Ehe für alle und den Mindestlohn eingeführt und die gute, alte Hauptschule zur Disposition gestellt. In politischen Stein gemeißelt war für CDU und CSU nur noch ein Ziel: Solide Staatsfinanzen – von Angela Merkel gerne mit dem Beispiel der schwäbischen Hausfrau beschrieben und durch die Schuldengrenze im Grundgesetz in den Verfassungsrang erhoben. Auf Dauer, soll das heißen, darf der Staat nicht über seine Verhältnisse leben.

    Diese Initiative war kein Alleingang von Helge Braun

    Mit seinem Vorstoß, das Grundgesetz zu ändern und die Schuldenbremse für zwei, drei weitere Jahre zu lockern, hat Kanzleramtsminister Helge Braun deshalb vermintes Gelände betreten. So jedenfalls sieht es auf den ersten, flüchtigen Blick aus. Tatsächlich hat Angela Merkel Braun vermutlich sehenden Auges in vermintes Gelände geschickt. Als Chef des Kanzleramtes ist er ja nicht nur einer ihrer engsten Vertrauten, er arbeitet auch in einer eher dienenden Funktion, eigene politische Initiativen verbieten sich da quasi von selbst.

    Die Schuldenbremse kann nach Einschätzung von Kanzleramtschef Helge Braun in den kommenden Jahren nicht eingehalten werden - der CDU-Politiker plädiert für eine Grundgesetzänderung.
    Die Schuldenbremse kann nach Einschätzung von Kanzleramtschef Helge Braun in den kommenden Jahren nicht eingehalten werden - der CDU-Politiker plädiert für eine Grundgesetzänderung. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Startet Braun sie dennoch, sind sie ohne jeden Zweifel mit der Kanzlerin abgestimmt, was im aktuellen Fall nur zweierlei bedeuten kann: Entweder rückt Angela Merkel auf den letzten Metern ihrer Amtszeit von der Schuldenbremse ab – oder sie will dem neuen CDU-Chef Armin Laschet noch einmal die aktuelle Hackordnung in der Union verdeutlichen, nach der noch immer sie zuerst kommt, als Kanzlerin, und dann erst die ehrgeizigen Vorsitzenden von CDU und CSU.

    So oder so ist der Vorschlag politisches Harakiri. Beifall aus der falschen Ecke kann die Union in einem Wahljahr eigentlich nicht gebrauchen, genau den aber bekommt sie jetzt von den Sozialdemokraten und den Grünen, die Braun für seinen Vorschlag feiern als sei er einer der Ihren. Sein daraufhin eilig nachgeschobenes Bekenntnis, er stelle doch nicht die Schuldenregel insgesamt in Frage, sondern wolle nur für einige Jahre eine etwas höhere Neuverschuldung ermöglichen, ändert daran nichts. Die leise Saat des Zweifels ist bereits aufgegangen: Wie ernst ist es der Union noch mit den Prinzipien der schwäbischen Hausfrau? Führt das billige Geld jetzt auch die Konservativen in Versuchung? Brechen in einer schwarz-grünen Koalition nach der Wahl womöglich alle Dämme?

    Der Vorstoß könnte auch als Strategie Merkels gedeutet werden, dem neuen CDU-Chef Laschet die Ordnung in der Union zu verdeutlichen, nach der noch immer zuerst die Kanzlerin kommt.
    Der Vorstoß könnte auch als Strategie Merkels gedeutet werden, dem neuen CDU-Chef Laschet die Ordnung in der Union zu verdeutlichen, nach der noch immer zuerst die Kanzlerin kommt. Foto: Andreas Arnold, dpa

    Die harsche Kritik an Braun aus den eigenen Reihen spricht jedenfalls Bände: Weite Teile der CDU fürchten genau dort zu landen, wo sie bisher nur die Grünen, die SPD und die Linke verortet haben – im Lager der Schuldenkünstler und Umverteiler, die mit lässiger Geste das Geld ausgeben, das sie entweder nicht haben oder sich über Steuererhöhungen erst noch beschaffen müssen. Laschet blieb deshalb gar nichts anderes übrig, als eine rote Linie zu ziehen und sich gegen die Kanzlerin und ihren Adjutanten Braun zu stellen.

    Finanzminister Olaf Scholz hat noch Reserven

    Natürlich würde eine gelockerte Schuldenregel die Möglichkeiten der nächsten Koalition spürbar erweitern, ihr vielleicht sogar unpopuläre Sparpakete ersparen – dem süßen Gift des geliehenen Geldes aber darf eine Partei nicht erliegen, deren Kompass auf finanzielle Solidität ausgerichtet ist. Außerdem sind die Löcher in der Finanzplanung nicht so groß, wie Braun es suggeriert. Im vergangenen Jahr hat der Bund nach einer Schätzung des Rechnungshofes etwa 50 Milliarden weniger an Schulden gemacht als zunächst geplant, und für das laufende Jahr hat Finanzminister Olaf Scholz ohnehin eine Art Corona-Puffer von 35 Milliarden Euro im Etat stehen - Spielraum genug, sollte man meinen, um halbwegs sicher durch die Krise zu kommen.

    Das entscheidende Argument allerdings blendet Braun komplett aus. Es war auch die 2009 eingeführte Schuldenbremse, die die Politik erst in die Lage versetzt hat, in der Corona-Krise mit dreistelligen Milliardenbeträgen gegenzuhalten. Die ausgeglichenen Haushalte und die Überschüsse der vergangenen Jahren waren ja nicht nur das Ergebnis einer guten Konjunktur und entsprechend hoher Steuereinnahmen, sie sind auch der disziplinierende Kraft eines Gesetzes zu verdanken, das die Kreditaufnahme des Bundes von Wirtschaftskrisen und Naturkatastrophen abgesehen auf 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt. Wer diese Regel schleift, verschwendet Munition für die berühmte „Bazooka“ von Olaf Scholz – und damit wertvolle Feuerkraft für die nächste Krise.

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