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Kommentar: Habeck will nicht am grünen Anti-Atom-Dogma rütteln

Kommentar

Habeck will nicht am grünen Anti-Atom-Dogma rütteln

Rudi Wais
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    Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm vom Atomkraftwerk (AKW) Isar 2. Es soll nun als Notreserve dienen.
    Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm vom Atomkraftwerk (AKW) Isar 2. Es soll nun als Notreserve dienen. Foto: Armin Weigel, dpa

    Erst das Land, dann die Partei: Im Bemühen, gleichermaßen volksnah wie problembewusst zu sein, greifen Politiker nur allzu gerne zu dieser Floskel. Wenn eine vermeintliche Selbstverständlichkeit wie der Vorrang des Gemeinwohls vor strategischen oder persönlichen Interessen aber eigens betont werden muss, ist Vorsicht geboten. Selbstlosigkeit war noch nie eine politische Primärtugend.

    Die Gorleben-Fraktion hat sich durchgesetzt

    Erst das Land? Die Absage von Robert Habeck an eine signifikante Verlängerung der Reaktorlaufzeiten folgt einem gängigen Muster: Hilfreich ist vor allem, was der eigenen Partei hilft. Obwohl mehr als 80 Prozent der Deutschen für den Weiterbetrieb der letzten Meiler plädieren, will der Wirtschaftsminister nicht am grünen Anti-Atom-Dogma rütteln. Zwar hält er sich mit dem Bereitschaftsmodus für die Reaktoren in Ohu und Neckarwestheim eine Hintertür einen Spalt breit offen. Wie sehr die Parteipolitik seine Entscheidung beeinflusst hat, zeigt jedoch ein Blick nach Niedersachsen, wo das Kraftwerk in Lingen auf jeden Fall abgeschaltet werden soll – zur Freude von Jürgen Trittin und seiner kampferprobten Gorleben-Fraktion, die sich kurz vor der Landtagswahl nun als erfolgreiche Verteidigerin eines urgrünen Anliegens präsentieren kann: Atomkraft, nein danke. Koste es, was es wolle.

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei einer Pressekonferenz in Berlin.
    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei einer Pressekonferenz in Berlin. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Natürlich darf die Politik den Menschen nicht nach dem Mund reden, aber sie ist eben auch kein in sich geschlossenes System, dessen Satelliten nur um sich selbst kreisen. „Vertrauen“, heißt es in einem bekannten Werbespot, „ist der Anfang von allem.“ Dass heute nur noch 29 Prozent der Deutschen Vertrauen in die Handlungsfähigkeit ihres Staates haben, muss daher auch einem Minister wie Habeck zu denken geben, der es an Entschlossenheit und Verantwortungsgefühl noch lange nicht mit einem Joschka Fischer aufnehmen kann. Selbst auf dem Höhepunkt der Pandemie, als sich Panne an Panne reihte, hat das Forsa-Institut noch doppelt so hohe Vertrauenswerte für den oft umständlichen, im Kern aber funktionierenden deutschen Staat ermittelt.

    Die zunehmende Distanz zwischen Bürger und Staat gründet vor allem auf dem Gefühl, dass die Politik die gegenwärtige Krise nicht unter Kontrolle bekommt. Statt von russischem Gas macht Deutschland sich jetzt von polnischem Kohle- und französischem Atomstrom abhängig, was in seinen politischen Implikationen weniger dramatisch ist, aber auch nicht wirklich beruhigend. Einen drohenden Versorgungsengpass bei Strom und Gas kann auch der populärste Politiker nicht einfach wegmoderieren. Im Fall Habeck kommt noch verschärfend hinzu, dass er durch sein Nein zu einem Weiterbetrieb der Kernkraftwerke ja die potenziell zur Verfügung stehende Menge an Strom reduziert und genau den Preisauftrieb noch beschleunigt, den die Koalition mit ihrem Stromdeckel verzweifelt in den Griff zu bekommen versucht.

    Koalitionen sind schon an kleineren Krisen gescheitert

    Nach der Katastrophe von Fukushima war ein zügiger Ausstieg aus der Atomkraft gesellschaftlicher Konsens in Deutschland. Die Zeiten aber haben sich durch Putins Einmarsch in die Ukraine dramatisch geändert, für eine wachsende Zahl von Menschen ist die Atomkraft heute das deutlich kleinere Übel. Diesem neuen gesellschaftlichen Konsens verweigern sich die Grünen bisher und gehen damit hoch ins Risiko. Sollte Habecks Kalkulation nicht aufgehen und ein Blackout Teile des Landes lahmlegen, dürfte dies das Ende der grünen Regierungsbeteiligung sein. Koalitionen sind schon an kleineren Krisen gescheitert.

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