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Kommentar: Habeck liefert in seiner Rede, was Scholz schuldig blieb

Kommentar

Habeck liefert in seiner Rede, was Scholz schuldig blieb

Lena Jakat
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    Habeck liefert in seiner Rede, was Scholz schuldig blieb
    Habeck liefert in seiner Rede, was Scholz schuldig blieb Foto: Soeren Stache, dpa

    Wenn in Deutschland über den Krieg im Nahen Osten diskutiert wird, werden oft abstrakte Konzepte und Kategorisierungen benutzt. Die Rede ist dann von Israels Recht auf Selbstverteidigung, von Völkerrecht und immer wieder auch von der deutschen Staatsräson. Begrifflichkeiten, die leider viel zu oft im Abstrakten und damit auch im Unkonkreten hängen bleiben. Angesichts der Eindeutigkeit, der Unbedingtheit der Bilder aus Israel und Gaza, der Fotos von verstümmelten Leichen, von getöteten Kindern und verzweifelten Gesichtern helfen diese ständig wiederholten Wolkenworte kaum, im Gegenteil: Oft vergrößern sie die Ratlosigkeit.

    Das mag erklären, warum Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck gerade so viel Zustimmung, ja Begeisterung erfährt. In einer zehnminütigen Rede, die auf seinen Social-Media-Kanälen verbreitet wurde, führt Habeck sehr konkret aus, was darunter zu verstehen ist, wenn Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson bezeichnet wird: Dass Jüdinnen und Juden in Deutschland in Sicherheit und Freiheit leben können müssen. Dass Antisemitismus in keiner Gestalt zu tolerieren ist. Er verurteilt muslimischen Antisemitismus, rechtsextremen und linken Antisemitismus. Er sagt: „Toleranz kann keine Intoleranz vertragen. Das ist der Kern unseres Zusammenlebens in dieser Republik.“

    Habecks Rede hätte auch Scholz gut zu Gesicht gestanden

    Für seine Rede erhält der Grünen-Politiker Lob von fast allen Seiten, aus der eigenen Partei, aus der Opposition, von Verbänden, auch vom Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der das Verhalten der Bundesregierung im Gespräch mit unserer Redaktion erst am Dienstag als „Zeichen des Alleinlassens“ gewertet hatte. In der Tat ist Habecks Rede in ihrer Klarheit, aber auch in ihrer emotionalen Qualität eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Politik. Sie liefert Satz für Satz Verbindlichkeit und Orientierung und gibt den Menschen damit offenkundig etwas, wonach sie sich gesehnt haben. Anders wäre es schließlich kaum zu erklären, dass der Clip allein bei X bis Donnerstagnachmittag mehr als sechs Millionen Mal angesehen wurde.

    Habecks Rede zur Lage der Nation ist eine, die das – auch oft so ein Wolkenwort – Adjektiv "staatsmännisch" verdient hat. Eine Rede, die eigentlich auch einem Bundespräsidenten, oder sagen wir: einem Bundeskanzler, gut zu Gesicht gestanden hätte. Olaf Scholz wird sich die Frage gefallen lassen müssen, warum er sich bislang nicht in dieser Entschiedenheit geäußert hat und warum er es nicht schafft, den Bürgerinnen und Bürgern die Orientierung zu bieten, die diese offenkundig von der Bundesregierung erwarten. 

    Scholz spricht auch immer wieder von der deutschen Staatsräson, doch anders als Habeck gelingt es ihm nicht, das Konzept am Alltag der Menschen anzudocken, zu erklären, was es für jede und jeden bedeutet. In Krisenzeiten wie diesen besteht politische Führung darin, den Menschen psychologische Sicherheit zu vermitteln. Ein erster Schritt dahin ist eine eindeutige Lagebeschreibung und klare, verbindliche Kommunikation. Dass dies nun ausgerechnet der Wirtschaftsminister liefert, ist nur in einem Vakuum möglich, das der Kanzler zu verantworten hat, der einst selbst Führung versprach.

    Wer glaubt, die deutsche Debatte sei mit Habecks Worten beendet, Regeln geklärt, jetzt einfach weiterleben, braucht nur einen Blick in die Kommentare unter seinem Instagram-Video zu werfen, um eines Besseren belehrt zu werden. Sie sind voll von dem Vorwurf, Habeck schüre antimuslimischen Rassismus. Die Debatte über den „Kern unseres Zusammenlebens“, sie hat gerade erst begonnen. Sie zu führen, ist die gemeinsame Aufgabe aller. 

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