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Kommentar: Gewalt kann das Regime in Teheran nicht retten

Kommentar

Gewalt kann das Regime in Teheran nicht retten

Simon Kaminski
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    Demonstranten während eines Protestes in der Innenstadt 
gegen den Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini.
    Demonstranten während eines Protestes in der Innenstadt gegen den Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini. Foto: Uncredited, AP, dpa

    Die Bilder sind spektakulär: Rund eine Million Frauen gehen in Teheran auf die Straße, um gegen die Pflicht zur Verschleierung zu protestieren. Das klingt sehr aktuell, ist aber lange her: Am 8. März 1979 weigern sich die Demonstrantinnen zu akzeptieren, dass das neue islamistische Regime unter der geistlichen Führung von Revolutionsführer Ayatollah Chomeini ihnen per Erlass bis ins Detail vorschreiben will, wie sie in der Öffentlichkeit gekleidet sein müssen. Für den Augenblick haben sie Erfolg. Die Kopftuchpflicht wird kassiert. Doch nur eineinhalb Jahre später wieder eingeführt.

    Wütende Frauen reißen ihren Schleier herunter

    Heute – mehr als 43 Jahre später – versammeln sich wütende Frauen, reißen sich den Schleier herunter, manche verbrennen ihn gar. Und doch ist vieles anders. Während 1979 die Männer noch am Straßenrand standen und die protestierenden Frauen auslachten oder beschimpften, finden sie sich jetzt unter den Demonstrierenden.

    Die Bilder und Nachrichten über den Tod von Mahsa Amini im Polizeigewahrsam verbreiteten sich rasend über das Internet. Die 22-Jährige war festgenommen worden, weil sie das islamische Kopftuch nicht gesetzeskonform getragen hatte. Die angestaute Wut über die selbstgerechten Allmachtsfantasien der Sittenwächter ist stärker als die nur zu berechtigte Angst vor den Folgen des Widerstandes . Es formiert sich eine breite gesellschaftliche Bewegung.

    Unterstützt von bekannten Künstlern und Sportler kritisierte sie erst den Zwang zur Verschleierung, dann das Regime und bald auch das System an sich. Sogar Teile des konservativen Establishments zweifeln an der brachialen Reaktion der Herrschenden.

    Weltweit gedenken Frauen der Iranerin Mahsa Amini und protestieren gegen das Mullah-Regime. Diese beiden Frauen gingen in der libanesischen Hauptstadt Beirut auf die Straße.
    Weltweit gedenken Frauen der Iranerin Mahsa Amini und protestieren gegen das Mullah-Regime. Diese beiden Frauen gingen in der libanesischen Hauptstadt Beirut auf die Straße. Foto: Marwan Naamani, dpa

    Die Regierung selber hat dafür gesorgt, dass der Druck auf dem Kessel seit Jahren beständig ansteigt. Fast alle Ventile wurden von den Machthabern verstopft, der Repressionsapparat ausgebaut. Die gewaltigen Massendemonstrationen von 2009 gegen ein offensichtlich manipuliertes Wahlergebnis waren friedlich. Doch sie wurden gewaltsam niedergeschlagen. Immer brutaler knüppelten Sicherheitskräfte in den folgenden Jahren Proteste nieder. Menschen starben, tausende wurden verhaftet und gefoltert.

    Doch diese rücksichtslose, ja kriminelle „Strategie“ führt in eine Sackgasse. Zwar gibt es Iraner, die weiter bereit sind, die Ideen der islamischen Revolution mit allen Mitteln zu verteidigen. Sie leben gut in einem System, das sie von ihrer Kindheit an kennen. Doch eine wachsende Mehrheit hat religiöse Gängelei und Unterdrückung gepaart mit Korruption und wirtschaftlichem Niedergang satt. Das zeigen staatliche Umfragen, die an die Öffentlichkeit gelangten. Viele Mullahs haben die Gefahr erkannt, dass sich immer mehr Iranerinnen und Iraner abwenden. Umso blinder wirkt die Inbrunst, mit der das Kopftuch als Stoff gewordenes Symbol des Gottesstaates verteidigt wird.

    Viele Iranerinnen tragen ihr Kopftuch betont leger

    Die Angst dahinter: Fällt der Schleier, dann bröckelt ihre Macht – ein Dominoeffekt. Doch genau dies geschieht schon seit vielen Jahren. Insbesondere in den Städten tragen viele Iranerinnen ihr Kopftuch im Alltag demonstrativ locker, lassen ihre Haare hervorblitzen. Das ist ihr alltägliches Statement gegen die Unterdrückung. Mit Gewalt allein kann das Regime diesen Kampf nicht gewinnen, auch wenn es ihr gelingen sollte, den Protest mit noch größerer Brutalität zu ersticken. Was in diesen Tagen im

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