Tausende auf der Flucht, Hunderttausende ohne Trinkwasser, im Sommer verdorrte Felder, ein Atomkraftwerk ohne ausreichend Kühlwasser – die Sprengung des Kachowka-Staudammes in der Ukraine ist ein Kriegsverbrechen. Russland und die Ukraine bezichtigen sich gegenseitig, für diese monströse Tat verantwortlich zu sein.
Es spricht allerdings viel mehr dafür, dass sie auf das Konto des Kreml geht. Dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einem Nero gleich weite Teile seines Landes verwüstet, ist wenig wahrscheinlich. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer neuen Dimension des Krieges. Scholz hat recht und eine Frage, die sich daran anschließt, lautet, was heißt das für die Alliierten der Ukraine, zum Beispiel für Deutschland? Folgt daraus eine neue Dimension der Unterstützung?
Das Leben geht weiter, auch mit Krieg in Europa
Die Stimmung in Deutschland ist eine andere. Die tiefe Erschütterung zu Beginn des russischen Überfalls ist einer Normalität gewichen, die da heißt: leben mit dem Krieg im Osten Europas. Das Töten und Sterben ist eine Krise unter vielen – Klimawandel, Wohnungsmangel, Migration und Inflation fordern Tribut und Aufmerksamkeit. Kein Verglich mehr zu den ersten Wochen der Invasion, als die Frontverläufe kilometergenau verfolgt wurden und jeder Abschuss eines russischen Flugzeugs eine Meldung war. Der Krieg ist nah, aber gefühlt weit weg. Das Leben geht weiter und es gibt sogar in der Ukraine in den westlichen Teilen des Landes eine brüchige Normalität.
Den Ukrainern schulden die Deutschen, dass „aus leben mit dem Krieg“ nicht Gleichgültigkeit wird. Denn Krieg ist, wenn der eigene Sohn auf dem Schlachtfeld bleibt. Krieg ist, wenn Kinder zu Waisen werden. Krieg ist, wenn Körper von Granaten zerfetzt werden. Krieg ist, wenn ein Land auf Jahrzehnte zerstört wird. Sich das vor Augen zu führen, hilft den eigenen moralischen Kompass zu norden. Und dann weiß man, wer diesen Krieg angefangen hat und wer die Hilfe Deutschlands braucht.