Der Umgang mit autokratischen Regimen gehört in der internationalen Diplomatie zu den unangenehmen, aber notwendigen Aufgaben. Die Zusammenarbeit der EU mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied, der in seinem Land alle Macht an sich gerissen und damit die einzige demokratische Erfolgsgeschichte des Arabischen Frühlings zerstört hat, ist ein Beispiel dafür. Mit Saied zu reden ist richtig. Europa hat ein Interesse daran, dass Tunesien stabil ist und dass weniger Menschen als derzeit aus Nordafrika nach Italien fliehen.
Doch was sich seit Wochen in Tunesien abspielt, ist so furchtbar, dass Europa dazu nicht schweigen darf. Der Präsident lässt Flüchtlinge aus Schwarzafrika – darunter Frauen und Kinder – ohne Wasser in der Wüste aussetzen. Manche sterben, andere werden von libyschen Grenzern gerettet. Bisher schaut die EU zu und setzt sich dem Verdacht aus, dass sie Saieds Brutalität als Abschreckung sieht, die ihr ganz recht ist.
Tunesien fungiert als Torwächter in der Flüchtlingspolitik
Ein neues Flüchtlingsabkommen zwischen EU und Tunesien macht Saieds Regime zum Torwächter in der Flüchtlingspolitik, so wie ein ähnlicher Deal im Jahr 2016 die Türkei dafür einspannte, Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa aufzuhalten.
Wenn die EU wie jetzt im Fall Tunesien toleriert, dass ein Autokrat unschuldige Menschen in die Wüste und den Tod treibt, verletzt sie ihre eigenen Werte. Außerdem erreicht sie damit, dass noch mehr Menschen, die unter Saieds brutalem Regime in Tunesien keine Zukunft mehr sehen, in die Flüchtlingsboote nach Italien steigen. Zur Belohnung überweist Europa dem Präsidenten auch noch 100 Millionen Euro. Saied gewinnt, weil er Flüchtlinge loswird und Geld aus Europa bekommt. Die EU und die Menschlichkeit verlieren.