Die russische Regierung hat in den letzten Jahren hart daran gearbeitet, die Glaubwürdigkeit von offiziellen Verlautbarungen stetig sinken zu lassen. Seit jedoch die zumindest quantitativ gigantischen Streitkräfte des Landes vergeblich versuchen, die Ukraine zu erobern, dreht die staatliche Propaganda immer öfter ins Skurrile. Selbst versierte Beobachter vermögen oft nicht mehr zwischen Wahrheit und Fiktion zu unterscheiden.
Am Mittwoch verblüffte die Anschuldigung aus Moskau, dass Kiew versucht habe, Präsident Wladimir Putin per Drohnenattacke auf den Kreml ins Jenseits zu befördern – unterlegt wurde die Behauptung mit Videos äußerst mäßiger Qualität. Einfach mal mit zwei Drohnen den Regierungssitz Putins beschießen - eines der mutmaßlich am besten gesicherten Gebäude auf unserem Planeten? Das klingt nach einem James-Bond-Drehbuch. Unwillkürlich werden Erinnerungen wach an den Deutschen Matthias Rust, der im Mai 1987 mit seiner Cessna auf dem Roten Platz landete. Damals ein Menetekel für den nahenden Untergang der maroden Sowjetunion.
Tatsächlich hat das ukrainische Militär gezeigt, dass es in der Lage ist, mit Drohnen auch weit entfernte Ziele zu attackieren. Am Donnerstag sollen solche unbemannten Fluggeräte ein russisches Tanklager nahe der Krim in Brand gesetzt haben. Der Unterschied ist, dass es sich, wenn die Videos echt sind, um relativ kleine Segeldrohnen mit geringer Reichweite gehandelt hat, die eher in Moskau oder Umgebung gestartet worden sein dürften.
Putin war zum Zeitpunkt des angeblichen Anschlags nicht zu Hause
Der Diktator war übrigens zum Zeitpunkt des angeblichen Anschlags, nach allem was bekannt ist, gar nicht im Hause. Selbst wenn er die Nacht auf Mittwoch in seiner Wohnung im Regierungssitz verbracht hätte, hätten ihm die Drohnen in seinem zur Festung ausgebauten Domizil nichts anhaben können. Durchaus denkbar ist, dass die Aktion vom Kreml eingefädelt wurde, um die Motivation der Bevölkerung zu stärken, den kriminellen Krieg mit noch größerer Härte zu führen. Zurzeit läuft eine große Rekrutierungskampagne. Für eine Operation unter falscher Flagge spricht auch die schnelle und auffällig gut koordinierte Reaktion aus Moskau, das für eine oft chaotische Kommunikation bekannt ist.
Doch sollte es sich tatsächlich um einen Angriff von Ukrainern oder Putin-Gegnern aus Russland gehandelt haben, wäre die Blamage für das russische Militär und die Geheimdienste perfekt. Schließlich war die ohnehin massive Luftverteidigung Moskaus zuletzt weiter verstärkt worden.
Jenseits von allen Spekulationen hat der Vorfall ein äußerst gefährliches Eskalationspotenzial. Die hysterischen Forderungen russischer Politiker und Militärexperten nach gnadenloser Vergeltung verheißen nichts Gutes.