Der Begriff Schicksalswahlen ist arg strapaziert. Doch in diesem Fall ist er angemessen: Wenn die Türkinnen und Türken am 14. Mai darüber entscheiden, wer in Zukunft ihr Präsident ist, geht es um die vielleicht letzte Chance, die Demokratie vor Recep Tayyip Erdogan zu retten. Der Chef der sozialdemokratischen CHP, Kemal Kılıcdaroglu, soll den Amtsinhaber als Galionsfigur eines Oppositionsbündnisses herausfordern.
Erdoğan reagierte nervös auf diese Personalie, obwohl alle Umfragen belegen, dass die Bürgermeister von Istanbul und Ankara, Imamoglu und Yavas, mehr Zustimmung bei den Wählern verzeichnen. Kılıcdaroglu Nominierung jedoch hat den Plan des Autokraten durchkreuzt, den beliebten Imamoglu juristisch auszubremsen. Nun kurzerhand zu versuchen, auch Kılıcdaroglu mithilfe willfähriger Richter von der Wahl fernzuhalten, wäre dann doch so offen despotisch, dass sogar Erdoğan davor zurückschrecken dürfte.
Erdogans Konkurrent Kilicdaroglu bei der Präsidentschaftswahl gilt als besonnen
Gerade unter dem Eindruck des verheerenden Erdbebens und des chaotischen Krisenmanagements könnte sich als Vorteil erweisen, dass Kılıcdaroglu zwar als wenig charismatisch, aber als kooperativ und besonnen gilt. Ein Gegenmodell zu dem aufbrausenden, manche sagen auch zunehmend der Realität entrückten Erdoğan. Beobachter fragen sich, ob dieser Mann eine Niederlage tatsächlich akzeptieren würde. Vor diesem Hintergrund klingt "Schicksalswahl" düster, ja bedrohlich.