Einmal im Jahr das Geschlecht wechseln, zumindest amtlich – mit ihrem Selbstbestimmungsgesetz stößt die rot-grün-gelbe Bundesregierung mitten in eine gesellschaftliche Debatte, die mit unerbittlicher Schärfe geführt wird. Im Spannungsfeld zwischen Biologie und kulturellen Prägungen gibt es für beide Seiten nur Schwarz oder Weiß. Zwischentöne haben leider kaum eine Chance. Schon der Name polarisiert: Ist das Geschlecht wirklich etwas, das selbst bestimmt werden kann? Für das eine Lager ist klar, dass es rein die Chromosomen sind, die das entscheiden. Für das andere ist es eine vielschichtige Angelegenheit, die sich allein nach Empfinden der Betroffenen richtet und deshalb auch Änderungen unterliegt.
Einem eindeutigen Urteil entzieht sich auch das nun vom Kabinett gebilligte Ampel-Vorhaben. Sein Kerngedanke ist richtig, denn für Menschen, die sich im falschen Körper gefangen fühlen, unter ihrem biologischen Geschlecht leiden, bedeutet es eine echte Erleichterung. Das Transsexuellengesetz, das seit 1980 die Änderung des amtlichen Geschlechtsantrags regelt, verlangt teure Gutachten, für die es teils peinliche Fragen nach dem Masturbationsverhalten zu beantworten gilt und an dessen Ende ein Richter entscheidet. Es ist höchste Zeit, dass diese entwürdigende Prozedur entfällt. Wie schon bisher ist es auch künftig für eine Eintragsänderung nicht nötig, eine medizinische Umwandlung zu vollziehen, für die Hormone eingesetzt oder Geschlechtsmerkmale entfernt oder operativ umgestaltet werden.
Regierung konnte zu viele offene Fragen nicht ausräumen
Aus dem stark vereinfachten Weg zu einem gravierenden Akt ergeben sich aber Bedenken, die die Regierung auch durch mehrmaliges Nachbessern nicht ganz ausräumen konnte. Befürchtungen, Männer könnten sich durch den unkomplizierten Verwaltungsakt Zugang zu Bereichen verschaffen, die aus gutem Grund Frauen vorbehalten sind, wies die grüne Familienministerin Lisa Paus anfangs noch empört zurück. "Transfrauen sind Frauen und deswegen sehe ich da jetzt keinen weiteren Erörterungsbedarf", antwortete sie auf eine entsprechende Frage. Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Innenministerin Nancy Faser (SPD) sorgten dann doch dafür, dass einige Regeln gegen möglichen Missbrauch hinzukamen. Im Verteidigungsfall etwa ist es einem Mann nicht möglich, sich der Wehrpflicht zu entziehen, indem er sich zur Frau erklärt. Wer auf einer Fahndungsliste steht, kann nicht durch einen Wechsel von Vornamen und Geschlecht seine Spur verwischen. Auch eine drohende Abschiebung soll nicht dadurch verhindert werden.
All diese sinnvollen Einschränkungen werden von Ferda Ataman, der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes, scharf kritisiert. Das lässt ahnen, mit welcher Heftigkeit jedes Mal gestritten werden wird, wenn sie tatsächlich zur Anwendung kommen. Andere Fragen lässt die Regierung offen, was unweigerlich zu aufsehenerregenden Gerichtsverfahren, Meinungsschlachten in den sozialen Medien und einer weiteren Verhärtung der Fronten führen wird. Wer etwa welche Toilette benutzt, in die Damensauna darf oder im Frauenwettbewerb starten, müssen Wirte, Bademeister und Sportverbände entscheiden. Der Strafvollzug steht vor ungelösten Herausforderungen. Und auch dass von Feministinnen hart erkämpfte Quotenregelungen in Politik und Wirtschaft unterlaufen werden, ist keinesfalls auszuschließen. Eindeutigkeit hätte dem Gesetz an vielen Stellen gutgetan. So droht sich die komplizierte Debatte um Gender, Identität, Geschlecht und sexuelle Orientierung nur weiter aufzuheizen.