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Söder lässt Aiwanger im Amt: Entscheidung mit Risiken und Nebenwirkungen

Kommentar

Eine Entscheidung mit Risiken und Nebenwirkungen

Margit Hufnagel
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    Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, gab in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz bekannt, dass er an seinem Stellvertreter Aiwanger (Freie Wähler) festhält. Eine Entlassung wäre aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig.
    Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, gab in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz bekannt, dass er an seinem Stellvertreter Aiwanger (Freie Wähler) festhält. Eine Entlassung wäre aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig. Foto: Sven Hoppe, dpa

    25 Fragen hatte der bayerische Ministerpräsident seinem Vize gestellt. Dass die Antworten oder besser gesagt: Nicht-Antworten nicht mehr als eine Farce sind – geschenkt. Denn am Ende dürfte es vor allem um eine einzige Frage gegangen sein, die in dem Katalog gar nicht aufgeführt war: Was bedeutet der Fall Hubert Aiwanger für Markus Söder? Der hatte bei der Entscheidung, ob er ihn so kurz vor der Landtagswahl aus dem Amt entfernt, die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entlässt er Aiwanger wegen eines menschenverachtenden Flugblattes, schafft er einen politischen Märtyrer, der den Ausgang der Landtagswahl gehörig durcheinandergewirbelt hätte. Belässt er seinen Vize trotz aller Entgleisungen im Amt, schleppt er fortan eine schwere Hypothek mit sich herum. Söder hat sich für Letzteres entschieden und sollte sich besser keiner Illusion hingeben. "Damit ist die Sache abgeschlossen", beendete er seine Stellungnahme. Das ist mehr Wunsch als Realität. Dieser Wahlkampf wird kein normaler mehr sein. Und spätestens nach dem 8. Oktober wird sich Söder die Gretchenfrage stellen müssen: Wie hältst du es mit Aiwanger? Macht er ihn erneut zu seinem Stellvertreter? 

    Entscheidend werden wohl die kommenden Wochen sein. Aller Empörung zum Trotz ist Aiwanger ein Politiker, der sich seinen Erfolg hart erkämpft hat, der in den Augen seiner Wählerinnen und Wähler viele gute Eigenschaften hat – nur eine gehört definitiv nicht dazu: Impulskontrolle. Schon die vergangenen Tage gaben einen Vorgeschmack darauf, dass der FW-Chef sich keineswegs das Büßergewand überstreift, sondern vielmehr politisches Kapital aus der Affäre schlagen will. Dass er auch am Sonntag, dem Tag, an dem sich sein Schicksal entschied, nicht für einen Moment Demut zeigte, lässt Böses befürchten. Dass es längst nicht mehr um das Verhalten eines 17-Jährigen, sondern um das Verhalten eines 52-Jährigen geht, versteht er nicht. 

    Aiwanger spricht in der Flugblatt-Affäre von einer "Hexenjagd" auf ihn

    Er inszeniert sich als Opfer, als die verfolgte Unschuld vom Land. Mehr denn je. Sieht eine Hexenjagd. Allein die Wahl dieses Begriffes sollte die Freien Wähler aufhorchen lassen: Es ist Trump-Jargon. Trump war es auch, der seine Partei, die Republikaner, quasi in Geiselhaft genommen hat. Ohne ihn geht kaum mehr etwas, wer mit ihm ganz nach oben steigt, wird auch mit ihm in die Tiefe stürzen. Auch die Freien Wähler werden sich fragen müssen, wie eng ausgerechnet sie, die dominante Führungsfiguren immer kritisch gesehen haben, sich künftig an Aiwanger ketten werden. 

    Hat zumindest vorerst gewonnen: Hubert Aiwanger, hier bei einem Auftritt am Sonntag.
    Hat zumindest vorerst gewonnen: Hubert Aiwanger, hier bei einem Auftritt am Sonntag. Foto: Frederick Mersi, dpa

    Es ist zu hoffen, dass auch Aiwanger selbst noch einmal in sich geht. Dass er sich fragt, ob wirklich er es sein will, der eine Grenze innerhalb der Gesellschaft mutwillig verschiebt. Der Holocaust hat aus guten Gründen einen besonderen, ja, einen einzigartigen Platz im historischen Gedächtnis dieser Nation eingenommen. Wenn diese bürgerliche Übereinkunft entgleist, verheißt das nichts Gutes für unser Land. 

    Die Debatte um die Flugblatt-Affäre war kein Ruhmesblatt für die Politik

    Verlierer in diesem ganzen Schauspiel ist schon jetzt die Mitte der Gesellschaft, die immer weiter zerrieben wird in polarisierenden Debatten. Denn die Vorwürfe, die man Aiwanger völlig zu Recht macht, muss man auch manchen seiner Gegner vorhalten. Mit Häme wurde verfolgt, wie sich der Freie-Wähler-Chef immer tiefer in den Morast trieb. Dass der sonst so schweigsame Bundeskanzler ausgerechnet jetzt seinen Sprecher nach vorn schickte, um den Ansehensverlust Bayerns anzumahnen, war geradezu grotesk. Nicht nur, dass Scholz selbst mit Erinnerungslücken zu kämpfen hat, sein Hinweis dürfte vor allem ein Tritt vors Schienbein des Über-Bayern Söder gewesen sein.

    Es geht hier nicht um das Ansehen Bayerns, es geht auch nicht darum, ob das Flugblatt eine Jugendsünde ist oder nicht. Es geht um politische Verantwortung für dieses Land und diese Gesellschaft. 

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