Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Ein Wirtschaftsministerium ohne Wirtschaftsminister

Kommentar

Ein Wirtschaftsministerium ohne Wirtschaftsminister

Rudi Wais
    • |
    Politik zulasten der Industrie? Die Lech-Stahlwerke in Herbertshofen bei Augsburg.
    Politik zulasten der Industrie? Die Lech-Stahlwerke in Herbertshofen bei Augsburg. Foto: Marcus Merk (Symbolbild)

    Das Ambiente war feudal und auch der Teilnehmerkreis von erlesener Qualität. 200 Konzernchefs aus aller Welt hatte Emmanuel Macron in der vergangenen Woche ins Schloss von Versailles eingeladen, um sie für Investitionen in Frankreich zu begeistern. Seit einigen Jahren bereits veranstaltet der Präsident solche Runden – mit Erfolg. In Dünkirchen baut ein taiwanesischer Konzern eine riesige Batteriefabrik, ein chinesischer Investor plant einen Windpark im Ärmelkanal und ein niederländisch-französisches Konsortium Europas größte Solarfabrik in Lothringen. 

    US-Präsident Joe Biden macht mehr als 300 Milliarden locker, um Investoren zu locken

    Dank hoher Steuerrabatte, zügiger Genehmigungsverfahren und der beschleunigten Ausbildung von Fachkräften ist ausgerechnet das dauerstreikende Frankreich schon das vierte Jahr in Folge das europäische Land mit den höchsten Investitionen ausländischer Firmen. Auf der anderen Seite des Atlantiks verfährt Joe Biden nicht anders. Investitionszuschüsse, Steuergutschriften und Abschreibungen im Volumen von weit über 300 Milliarden Euro sollen Investoren in die Fertigung von Elektroautos oder den Aufbau einer modernen Wasserstoffindustrie in den Vereinigten Staaten locken. 

    Und Deutschland? Streitet über Ölheizungen und Wärmepumpen. 

    In einer Phase, in der die Weltwirtschaft sich neu sortiert, droht die Bundesrepublik im Wettlauf der Standorte den Anschluss und wichtige Teile seiner Industrieproduktion zu verlieren. Das aber liegt nicht nur an bekannten Problemen wie der maroden Infrastruktur, den hohen Steuern, der schleppenden Digitalisierung oder der ausufernden Bürokratie. Mit dem Amtsantritt der Ampel ist noch ein Standortnachteil dazugekommen: Deutschland hat faktisch kein Wirtschaftsministerium mehr. 

    Robert Habeck versteht sich in erster Linie als Klimaschutzminister und weniger als Anwalt der Wirtschaft im Kabinett. Er will den Unternehmen nichts ermöglichen, sondern sie (um-)erziehen. Auch nach dem Abgang seines Vertrauten Patrick Graichen sind fast alle Spitzenposten des Ministeriums mit Menschen besetzt, die in der Umweltbewegung politisch sozialisiert wurden. Der Beauftragte für den Mittelstand zum Beispiel, der Staatssekretär Michael Kellner, hat unter anderem als Büroleiter für Claudia Roth und als Geschäftsführer in der Parteizentrale der Grünen gearbeitet. Ökonomische Expertise sucht man bei ihm ebenso vergeblich wie bei Habeck.

    Steuersenkungen für Unternehmen? Nicht mit den Grünen und der SPD

    Niemand verlangt, dass die neuen Herren im Hause Erhard sich Frankreich oder die USA zum Vorbild nehmen – beide Länder bewegen sich mit ihrer Industriepolitik an der Grenze zum Protektionismus, wenn nicht schon darüber. Beide Länder geben Unternehmen aber auch das Gefühl, dass sie gebraucht werden, dass sie gehalten werden sollen und auf die jeweilige Regierung zählen können. Für viele Grüne und Sozialdemokraten in Deutschland dagegen hat eine aktive Wirtschaftspolitik immer noch etwas leicht Anrüchiges – man hilft ja quasi dem Klassenfeind. Steuersenkungen für Unternehmen zum Beispiel, wie sie Finanzminister Christian Lindner gerade plant, sind in der Logik seiner Koalitionspartner kein Argument im Standortwettbewerb, sondern ein unnötiges Zuckerl für die, die ohnehin schon genug haben. 

    Es ist paradox: Ein grüner Wirtschaftsminister will Deutschland zum Vorbild für grüne Industrien machen – und muss nun mit ansehen, wie Frankreich ihm enteilt. Im Zweifel entscheiden die Manager dieser Welt nämlich schnell. Sie warten nicht, bis irgendwann auch Olaf Scholz zum Investorentreffen auf Schloss Sanssouci bittet.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden