Ein Jahr aus dem Amt: Wie Angela Merkel ihr Ansehen zerstört

09.12.2022

Vertrauen ist eines der höchsten Güter, das einem Politiker geschenkt wird. Doch es ist kein Präsent für die Ewigkeit. Das erfährt gerade auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel.

Es ist ein paar Wochen her. Der amerikanische Ex-Präsident und Wüterich Donald Trump hatte gerade einen seiner Wahlkampfauftritte, als er ins Publikum fragte: „Erinnert ihr euch an Angela?“ Die Antwort gab er sich zur Sicherheit gleich selbst: „Niemand erinnert sich mehr an sie.“ Es war das typisch Trump’sche Zurechtzimmern seiner eigenen Welt, die sich meist im scharfen Kontrast zur Wirklichkeit bewegt. 16 Jahre lang hat Angela Merkel die Geschicke Deutschlands gelenkt, ihr außenpolitischer Einfluss war gewaltig. Und auch heute noch horcht die Republik hin, wenn die Ex-Kanzlerin das Wort ergreift. Nur: Der Respekt, den viele vor ihr hatten, ist einem seltsamen Staunen gewichen. Das Bild, das sie der Nachwelt hinterlässt, beginnt sich zu wandeln.

Ungewohnt beschwingt ist Merkel bei ihren öffentlichen Terminen. Nun ist ihr die gute Laune kaum zu verübeln, immerhin ist ihr mit ihrem Amtsende vor einem Jahr eine Last von den Schultern gefallen, die kaum zu bemessen ist. Wirtschaftskrise, Eurokrise, Krim-Annexion, Flüchtlingskrise, Brexit, Covid – Zeit zum Luftholen blieb der Regierungschefin kaum. Und doch passt ihre Haltung nicht so ganz in eine Zeit, in der Deutschland das zwischen den Fingern zerrinnt, worauf es besonders stolz war: seinen Wohlstand. Tief verunsichert sind Wirtschaft und Gesellschaft. Je länger Putins Krieg in der Ukraine dauert, umso klarer wird, welche gigantischen Herausforderungen vor unserem Land liegen. Und umso klarer wird auch, dass viele dieser Probleme ihren Ursprung in der Vergangenheit haben und es Jahrzehnte dauern wird, sie anzugehen. Jahrzehnte, die wir eigentlich gar nicht haben.

Merkel verweigert sich der Kritik an ihrer Politik

Nun ist es mühselig, in alten Kisten herumzukramen, wenn eigentlich die Zukunft uns beschäftigen sollte. Doch zum Wesen von guter Politik gehört es eben auch, aus neuen Erkenntnissen zu lernen, sich weiterzuentwickeln. Fehler nicht um einer „mea-culpa“-Folklore willen anzuerkennen, sondern um Lehren daraus zu ziehen. Und genau dem verschließt sich die Ex-Kanzlerin mit ihrer fast schon bockigen Verweigerung, eigene Irrwege anzuerkennen und die auch auszusprechen. Dass sie vieles von dem, was in diesem Jahr geschehen ist, geahnt haben will, wirkt dann fast schon grotesk. Es ist eine Tatsache, dass die Russlandpolitik ihrer Regierungen es war, die Deutschland dahin geführt hat, wo es steht. 

Ein Jahr nach ihrem Auszug aus dem Kanzleramt erlebt Merkel deshalb, wie ihr Ansehen in hoher Geschwindigkeit Schaden nimmt – und das nicht einmal hauptsächlich für Dinge, die sie getan hat, sondern für Dinge, die sie nicht getan hat: die Energieabhängigkeit von Russland zu reduzieren, die erneuerbaren Energien ausbauen, die Digitalisierung vorantreiben, die Bundeswehr angemessen ausrüsten. Am Ende rächt sich das, wofür viele Menschen sie am meisten geschätzt haben: Dass sie Zumutungen von ihnen ferngehalten hat. Ob das gerecht ist? Vielleicht nicht. Doch darum geht es nicht. Eher darum: Politische Entscheidungen lassen sich nicht aussitzen, höchstens in die Zukunft vertagen – angenehmer werden sie dadurch nicht.

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Kanzler Scholz kämpft mit bald leeren Staatskassen

Leider war Merkel keineswegs die Einzige, die auf die falschen Karten gesetzt hat. Entsprechend wohlfeil sind auch all die Kommentare aus ihrer eigenen Partei und aus der SPD, die vor allem zum Ziel haben, das eigene Ansehen zu retten, indem das der Ex-Kanzlerin angekratzt wird. Umso eindringlicher möchte man Merkels Nachfolger Olaf Scholz warnen zu glauben, er könne ihren Politikstil des Nicht-erklären-Wollens einfach fortsetzen. Der Weg von Scholz wird weitaus steiniger sein als der von Merkel. Die Staatskassen leeren sich, die Menschen halten mehr an dem fest, was sie haben, das Zeitalter der Globalisierung neigt sich dem Ende entgegen. Ohne das Vertrauen der Bevölkerung wird das nicht zu bewältigen sein.

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