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Kommentar: Die Zeichen des Scheiterns der europäischen Asylpolitik

Kommentar

Die Zeichen des Scheiterns der europäischen Asylpolitik

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    Migranten sitzen in einem Holzboot südlich der italienischen Insel Lampedusa auf dem Mittelmeer.
    Migranten sitzen in einem Holzboot südlich der italienischen Insel Lampedusa auf dem Mittelmeer. Foto: Francisco Seco, AP/dpa

    In der Migrationspolitik stecken die Verantwortlichen stets in einem moralischen Dilemma. Auf der einen Seite hat die auf Werten wie Rechtsstaatlichkeit basierende EU die Pflicht, sich im Umgang mit Schutzsuchenden von humanitären Standards leiten zu lassen. Auf der anderen Seite ist es schlicht unmöglich, all jene aufzunehmen, die in Europa leben wollen. Im Ergebnis wird das Reizthema gerne so lange ignoriert, bis es zu spät ist. 

    Wieder mussten erst viele verzweifelte Migranten im Meer sterben

    Acht Jahre ist es her, als die Krise der europäischen Asylpolitik eskalierte. Trotzdem konnten sich die Mitgliedstaaten in der Folge auf keine Reform einigen. Wieder musste es erst zum Ausnahmezustand in Italien kommen, wieder mussten Kommunen an den Rand der Überforderung getrieben werden, wieder mussten zu viele Verzweifelte im Mittelmeer sterben, bis die EU in Form der europäischen Asylreform ernsthafte Lösungen auf den Tisch legt. Das allein ist ein Zeichen des Scheiterns. Die Untätigkeit sorgte außerdem dafür, dass die Populisten Futter für ihre Ängste schürenden Tiraden erhielten. Die rechte Welle, die mit der Europawahl auf Brüssel zurollt, wird durch den neuen Pakt nicht mehr zu stoppen sein.

    Berlin hat ehrenwert und fahrlässig zugleich agiert

    Natürlich gibt es keine einfachen Lösungen. Umso mehr konnte man nur den Kopf schütteln, wie sich die Bundesregierung in den vergangenen Monaten im Weg stand und die sogenannte Krisenverordnung, ein Baustein der Reform, zunächst ablehnte. Derzufolge sollen Flüchtende bei außergewöhnlichem Andrang an den Grenzen monatelang in Lager eingesperrt werden können. Im Kreis der Gegner befanden sich neben Deutschland ausgerechnet die Hardliner Polen, Ungarn, Tschechien und Österreich, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen. Während die Deutschen in der Debatte kaum einen Satz ohne den Hinweis auf Solidarität und die Wahrung der Menschenrechte äußern, inszenieren sich die Spitzen aus Warschau und Budapest auf Kosten einer seriösen Politik als Retter des europäischen Abendlandes.

    Es ist ehrenwert, auf Humanität zu bestehen. Einerseits. Andererseits war es fahrlässig von Berlin, durch den Widerstand wertvolle Zeit zu verschwenden. Das Machtwort von Kanzler Olaf Scholz kam zu spät. Für die Grünen dürfte der Kompromiss schwer zu ertragen sein. Denn er markiert einen Wendepunkt in der europäischen Migrationspolitik hin zu einer deutlichen Verschärfung. Aber gar keine Einigung wäre noch schlimmer. 

    Kurzfristig helfen gegen Flüchtlingswellen nur unschöne Deals

    Ob sie den krisenerschöpften Bürgern genügen wird, steht derweil auf einem anderen Blatt. Eigentlich können die Erwartungen nur enttäuscht werden, da die Auswirkungen selbst im besten Falle erst in ferner Zukunft zu spüren sein dürften. Für die hegen die EU-Länder die Hoffnung, dass die Regeln abschreckend wirken, weil Ankommende mit wenig Aussicht auf Anerkennung künftig an den Außengrenzen festgehalten und von dort wieder abgeschoben werden sollen. Kurzfristig helfen dagegen nur unschöne Deals. 

    Das Abkommen mit der Türkei 2016 reduzierte die Zahl der Flüchtenden in Europa sofort erheblich. Daran anlehnend zückte die Union gerade ihre Wunderwaffe Geld und überwies dem autokratischen Präsidenten Tunesiens Millionen, damit er Migranten aus Afrika davon abhält, sich in Boote zu zwängen und nach Italien überzusetzen. Die bittere Lehre aus dieser Verzweiflungsstrategie: Wer die Flüchtlingszahlen schnell senken will, muss bereit sein, sich die Hände schmutzig zu machen. Das ist die EU. Nur zugeben will sie es nicht. 

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