Das US-Magazin Atlantic Monthly hat pünktlich zum Weihnachtsfest eine sehr ernste Titelgeschichte veröffentlicht. Die (un)schöne Bescherung zeigt sich schon in der Überschrift, welche lautet: „The bad guys are winning“ – die bösen Kerle gewinnen gerade. Garniert ist die Seite mit Aufnahmen etwa vom belarussischen Diktator Lukaschenko, vom türkischen Autokraten Erdogan – und von Russlands Präsident Wladimir Putin sowie Chinas Machthaber Xi Jinping.
Viele Menschen regen sich über diese Titelseite auf. Sie sagen, gerade Amerika habe spätestens mit Donald Trump jegliche moralische Autorität verloren, die Welt in Gut und Böse aufzuteilen. Und überhaupt: Was solle so eine Kategorie in der Weltpolitik, in der Staaten doch ohnehin keine Freunde hätten, sondern allerhöchstens gemeinsame Interessen, die zu wahren seien?
Außenministerin Annalena Baerbock denkt über ein Ende von Nord Stream 2 nach
Man kann diese Grundsatzdiskussion sogar auf den aktuellen Start der Ampel-Koalition in Berlin ausdehnen. In der wurde nämlich schnell klar, dass die neue Bundesaußenministerin Annalena Baerbock den bösen Männern (es sind nun mal derzeit nur Männer) sehr klar sagen möchte, für wie böse sie diese hält. Sie denkt laut über ein Ende der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 nach, sollte Russland die Ukraine militärisch bedrohen. Und sie spielt Optionen durch, wie man China den Zugang zum europäischen Binnenmarkt teilweise verwehren könnte, falls sich an der Menschenrechtssituation im Land nichts ändert.
„Wertegebunden“ nennt Baerbock diese Außenpolitik, was den Vorwurf beinhaltet, an solchen Werten habe es zuletzt gemangelt und man müsse sie dringend wieder betonen. Interessanterweise scheint der neue Bundeskanzler diese Dringlichkeit aber nicht zu teilen, er sieht sich auch hier ganz in der Nachfolge von Angela Merkel. Die hatte zwar mit Putin unentwegt verhandelt, aber an Nordstream trotzdem festgehalten und es als unpolitisches Projekt bezeichnet – eine Diktion, die Olaf Scholz nun wiederholt. Auch nach China reiste Merkel ständig und sprach dabei pflichtschuldig Menschenrechte an – sobald diese aber mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten des chinesischen Marktes kollidierten, mit dem vor allem die deutsche Autoindustrie so gut fährt, waren diese nicht mehr ganz so wichtig.
Olaf Scholz sollte Baerbocks Außenpolitik-Ansätze mehr aufgreifen
Außenpolitik werde im Kanzleramt gemacht, hat nun die SPD klargestellt. Das stimmt, selbst eine erfahrenere Außenministerin als Baerbock könnte einen außenpolitischen Kurswechsel alleine nie bestimmen. Doch dann muss Scholz Außenpolitik auch machen – und sollte dabei Baerbocks Ansätze weit mehr aufgreifen als bislang.
Denn die Bedenken, die gerade aus linken Kreisen der SPD immer wieder kommen, stimmen ja durchaus: Etwa unsere historische Verantwortung gegenüber Ländern wie Russland, auch die Mahnung zur Vorsicht vor einem zu forschen Kurs der Amerikaner (wo Joe Biden zumindest China genauso kritisch angeht wie einst Trump und Putin schärfer als dieser). Es stimmt zudem durchaus, dass der Westen in einer Glaubwürdigkeitskrise steckt. Unser Gesellschafts- und Demokratiemodell hat Schwächen, es ist nicht perfekt und wir müssen es immer wieder nachjustieren. Aber es ist das beste, was wir haben – und Autokratien in seinen Werten hoffnungslos überlegen.
Es ist richtig, die Vertreter anderer Systeme etwa in Moskau und Peking daran zu erinnern, dass uns diese Werte wichtig sind – und wir es nicht einfach hinnehmen, wenn Autokraten scheinbar jedes Mittel recht ist. Das immer wieder auszusprechen sollte sich selbst ein frischgebackener Bundeskanzler trauen. Oder gerade dieser. Herr Scholz, die Welt schaut jetzt auf Sie.