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Kommentar: Die Ukraine fühlt sich zu Recht von uns verraten

Kommentar

Die Ukraine fühlt sich zu Recht von uns verraten

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    Bundeskanzler Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine.
    Bundeskanzler Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Den Besuch von Kanzler Scholz haben viele Ukrainer nur mit geballter Faust in der Tasche ertragen. Denken die Menschen zwischen Lwiw und Charkiw an Deutschland, sind die meisten von ihnen zwar ehrlich dankbar für die langjährige finanzielle Hilfe. Viele denken aber in der zugespitzten Lage, in der russische Truppen das Land eingekreist haben, auch an Verrat.

    In der Ukraine kennen sie die Geschichte gut. Sie akzeptieren historisch begründete Vorbehalte in Deutschland. Auch wenn der Zorn mitunter groß ist, dass die Opfer des NS-Vernichtungskriegs meist nur auf dem russischen Konto verbucht werden, obwohl die Wehrmacht in der

    Die Bundesregierung hat immer auf eine von Energiehunger getriebene Partnerschaft mit Russland gesetzt

    Die ukrainische Raketenforderung ist deshalb anders zu verstehen: als Ausdruck einer fundamentalen Enttäuschung über die deutsche Haltung. Auf der einen Seite ist da der hehre Anspruch einer wertegebundenen Außenpolitik. Multilateralismus, Völker- und Menschenrechte werden in Berlin ja nicht erst seit dem Einzug einer Grünenpolitikerin ins Auswärtige Amt wie eine Monstranz zur Schau gestellt. Dazu gehören auch die Beschwörungen des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine.

    Auf der anderen Seite haben aber die wechselnden Regierungen unter Gerhard Schröder, Angela Merkel und nun Olaf Scholz stets auf eine von ökonomischer Gier und Energiehunger getriebene Partnerschaft mit dem rohstoffreichen Russland gesetzt. Das deutsche Schlagwort vom „Wandel durch Handel“ verstehen viele Ukrainer anders: „Zuerst kommt der Profit, dann die Moral.“

    Die zentralen Stichworte lauten Nord Stream 2, Ablehnung eines ukrainischen Nato-Beitritts und Vermeidung einer echten EU-Perspektive. Bei gleichzeitiger Kumpanei mit dem Kreml. Angesichts dieser Vorgeschichte ertragen die Ukrainer es nur schwer, wenn Scholz sich in Kiew hinstellt und von Solidarität redet. Schöne Worte haben sie schon zu oft gehört.

    Die Menschen in der Ukraine kämpfen

    Das Schlimmste bei alldem ist aber die Selbstverliebtheit, mit der Deutsche der Ukraine vorrechnen, wie viele Milliarden Euro man doch in den vergangenen 20 Jahren in das Land überwiesen habe. Ein wenig Dankbarkeit, so klingt da immer mit, dürften die Bittsteller doch auch mal zeigen. Zumal sie ja so schrecklich korrupt sind.

    In Wirklichkeit kämpfen die Menschen in der Ukraine seit drei Jahrzehnten nicht nur für ihre Unabhängigkeit, für Demokratie und eine europäische Perspektive. Sie ringen auch mit einer Mafiakaste, die sie nicht gewollt haben. Unter der Korruption leiden die „normalen Menschen“ am meisten.

    Das Problem ist: Die berüchtigten Oligarchen haben nach dem Ende der Sowjetunion so viel Macht und Geld zusammenrauben können, dass sie jetzt nur schwer wieder zu entmachten sind. Jedenfalls nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln, auf die man in der Ukraine sehr viel stärker vertraut als in Russland. Und genau das ist aller Unterstützung wert. Nicht zuletzt im wohlverstandenen Eigeninteresse Deutschlands und des Westens.

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