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Kommentar: Die SPD steckt noch tiefer in der Krise als die Union

Kommentar

Die SPD steckt noch tiefer in der Krise als die Union

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    Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD-Chef Lars Klingbeil: Der Enttäuschung kann die Partei gesellschaftlich wenig entgegensetzen.
    Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD-Chef Lars Klingbeil: Der Enttäuschung kann die Partei gesellschaftlich wenig entgegensetzen. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Die SPD-Führung kann froh sein, dass der Oppositionsführer Friedrich Merz heißt: Der in seiner vermeintlich scharfsinnigen Rhetorik herumstolpernde CDU-Chef lenkt davon ab, dass die Sozialdemokraten einen Tiefpunkt ihrer langen Krise erreicht haben: Seit einem Monat dümpelt die Kanzlerpartei in Umfragen bundesweit mit wachsendem Abstand hinter der teils rechtsextremen AfD. Nicht nur im Osten scheint die SPD abgehängt, auch im Süden ist die personell ausgezehrte Partei schon lange hinter die Rechten abgestürzt.

    Wie viel Verantwortung trägt die SPD für AfD-Höhenflug?

    Dennoch gilt vielen die AfD hauptsächlich als ein Problem der Union. Dieser Blick entspringt der oberflächlichen Links-Rechts-Weltsicht. Doch auch durch das Innere der politischen Lager zieht sich quer ein Riss, der die Parteien in Modernisierer und auf Ausgleich bedachte Traditionalisten teilt. Das spürt derzeit die Union schmerzhaft in ihren Kursdebatten. Die SPD, ganz Kanzlerpartei, versucht trotz des Umfragen-Debakels Strategiediskussionen darüber zu vermeiden, was der AfD-Höhenflug für sie bedeutet und welche Verantwortung sie als Regierungspartei für die Entwicklung trägt. 

    Doch ist es ein Zufall, dass, wann immer die SPD an der Regierung beteiligt war, neue Parteien zur Stärke kamen? In der Ära Helmut Schmidt formierten sich die Grünen und nach den rot-grünen Jahren der Schröderschen Agenda-Reformen die Linke in Ost und West. Auch die AfD, einst gegründet aus Protest gegen die schwarz-gelbe Euro-Politik, schaffte den Sprung in den Bundestag erst nach der Großen Koalition, deren CDU-Kanzlerin Angela Merkel eine eher sozialdemokratisch geprägte Einwanderungspolitik betrieb. 

    Im Osten ist die AfD schon lange stärkste Arbeiterpartei

    Im Osten gelang es der AfD in vielen Bundesländern in den vergangenen zehn Jahren aus dem Stand heraus stärkste Arbeiterpartei zu werden. Das lange Versprechen der SPD, Partei des sozialen Aufstiegs zu sein, geriet seit der einschneidenden Agendapolitik in Vergessenheit. Die SPD setzte in den Krisenjahren der Schröder-Ära auf die Schaffung eines Niedriglohnsektors, um die damals hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. 

    Tatsächlich zeigten die Reformen Wirkung, doch auch heute arbeiten in Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern über 30 Prozent aller Beschäftigten zum Mindestlohn. Und in ganz Deutschland zählen Millionen Vollzeitbeschäftigte vom Busfahrer bis zur Verkäuferin, die gesellschaftlich unzweifelhaft die Mitte der Gesellschaft darstellen, zum unteren Einkommensdrittel. Sie leiden besonders unter Inflation, steigenden Mieten und explodierenden Nebenkosten für Strom und Heizung oder hohen Spritkosten. 

    Die SPD kann ihre sozialen Versprechen nicht mehr erfüllen

    Gerade in diesen Zeiten, in denen die Nöte der Normalverdiener so groß wie seit Jahrzehnten nicht sind, steht die Sozialdemokratie besonders schwach da. Die Krise im Schatten des Ukraine-Kriegs lässt die Steuereinnahmen schrumpfen und schmälert den Handlungsspielraum des Staats. Die SPD erhöht die Sozialversicherungsbeiträge, muss zusehen, wie der Mindestlohn nur um wenige Cent steigt und kann ihre großen Versprechen beim sozialen Wohnbau oder der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit aus Geldmangel nicht erfüllen. Eine Warnung an alle linken Idealisten, die Wachstum für überflüssig halten. 

    Der Enttäuschung kann die Partei gesellschaftlich wenig entgegensetzen. Wo früher Vordenker, Bildungsreformer oder Familienpolitikerinnen von Rang und Namen Zuversicht sozialen Aufstiegs versprühten, herrscht heute nur glanzloses Politik-Management.

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