Fünf Monate vor der Bundestagswahl sieht es ganz so aus, als wäre die SPD schon raus aus dem Rennen ums Kanzleramt. Die Umfragewerte sind inzwischen sogar unter die jämmerlichen 15 Prozent der letzten Zeit gesunken. Nicht einmal von der missglückten Kandidaten-Kür der Union können die Genossen profitieren.
Dabei steht mit Olaf Scholz schon seit Spätsommer ein bekannter und erfahrener Kanzlerkandidat fest, der eigentlich breitere Wählerschichten ansprechen könnte. Doch die Krux aus Sicht der SPD ist, dass viele Bürger den pragmatischen Bundesfinanzminister gar nicht mit der weit nach links gerückten Partei verbinden. Dass die eigenen Leute Scholz als Parteichef verschmähten und dem linken Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans den Vorzug gaben, bleibt ein kaum aufzulösender Widerspruch.
So spricht gerade alles über die Grünen, die sich nach der Kür von Annalena Baerbock zur Spitzenkandidatin im Höhenflug befinden. Das turbulente Unions-Duell zwischen Markus Söder und Armin Laschet sorgte immerhin für Aufmerksamkeit. Von der SPD aber redet im Moment fast niemand mehr und das ist ein äußerst bedenkliches Zeichen für die verdienstvolle Partei.
Seit Willy Brandt geht es bergab
Der Abstieg hat tragische Züge – 45,8 Prozent holte die SPD mit Willy Brandt bei der Bundestagswahl 1972. In der Bundesrepublik jener Zeit war im Unterschied zu heute glasklar, für was die SPD stand: für das Fortkommen eines sehr großen Teils der arbeitenden Bevölkerung. Für den Traum von eigenen vier Wänden, Auto, regelmäßigem Urlaub, das alles mit einem Einkommen. Dass die Kinder es einmal besser haben werden, galt als ausgemacht.
Die Erzählung war einmal eine fröhliche, handelte zuerst vom wirtschaftlichen Aufstieg für alle und erst danach von der Absicherung gegen einen möglichen Abstieg. Der vorerst letzte SPD-Kanzler Gerhard Schröder, 1998 gewählt, drehte mit den Hartz–IV-Reformen die soziale Fürsorge sogar ein großes Stück zurück. Das sorgte zwar für neuen Schwung auf einem festgefahrenen Arbeitsmarkt, ging vielen in der Partei aber zu weit. Eine große Wählergruppe verabschiedete sich in Richtung der neuen Linkspartei. An diesem Schock kaut die Sozialdemokratie noch heute, seither dominiert thematisch die Überwindung von Hartz IV. Während es ziemlich vielen Menschen wirtschaftlich ziemlich gut ging, redete die SPD immer weiter darüber, einen Abstieg abzufedern, den viele gar nicht fürchteten.
Ist die SPD noch Partei der arbeitenden Mitte?
Corona hat das zwar geändert, für neue Ängste gesorgt. Doch als Partei der arbeitenden Mitte wird die SPD kaum mehr wahrgenommen. Unter den Spitzenleuten gibt es immer weniger Politiker, die selbst schon einmal an der Werkbank gestanden haben. Dafür viele über Identitätspolitik twitternde Jungfunktionäre wie Kevin Kühnert.
Dann hat auch noch CDU-Kanzlerin Angela Merkel die SPD, die ihr nun schon eine Ewigkeit die Mehrheit sichert, wie ein Vampir programmatisch leergesaugt. Kaum hatte die SPD eine soziale Wohltat gefordert, war sie auch schon umgesetzt. So rückte die Sozialdemokratie immer weiter nach links und damit in die Sackgasse, in der die Linkspartei im Zweifel weitreichendere Forderungen stellt. Auch der Versuch, grüner als die Grünen zu werden, ist zum Scheitern verurteilt. Das einzige, was den Sozialdemokraten und Olaf Scholz jetzt noch helfen könnte, wäre eine radikale Rückbesinnung auf eine Politik für die breite, arbeitende Mitte der Gesellschaft. Ein modernisiertes Aufstiegsversprechen für die Zeit nach der Pandemie. Ein Plan, wie alles gut werden kann. Doch nichts davon ist in Sicht am sozialdemokratischen Horizont.
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