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Kommentar: Die SPD balanciert auf einem schmalen Grat

Kommentar

Die SPD balanciert auf einem schmalen Grat

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    Obergrenzen seien «Quatsch» und nicht durchsetzbar, sagt Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel.
    Obergrenzen seien «Quatsch» und nicht durchsetzbar, sagt Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel. Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa)

    Ein Hauch von Wahlkampf liegt schon in der Luft. Während die Union mit ihrer Kanzlerin hadert und den Andrang der Flüchtlinge am liebsten per Gesetz stoppen würde, hat die SPD sich für das Kontrastprogramm entschieden und ihren Parteitag mit einem demonstrativen Ja zu einem liberalen Asylrecht und einer großzügigen Einwanderungspolitik eröffnet.

    Bei mehr als einer Million Menschen, die in diesem Jahr schon nach Deutschland geflohen sind, kann man das optimistisch nennen oder naiv – in jedem Fall hat der Wähler im Herbst 2017 jetzt wieder eine Alternative: Hier die C-Parteien, die die Zuwanderung gerne noch strenger reglementieren würden, dort die Sozialdemokraten, die die Grenzen offen halten wollen. Zuwanderung ist nach dieser Logik nicht nur eine Chance, sondern für eine alternde Industrienation wie

    SPD darf Gleichgewicht bei der Flüchtlingspolitik nicht verlieren

    Unter anderen Umständen, in einer anderen Zeit, würden das auch stramme Konservative unterschreiben. Knappe zwei Jahre vor der nächsten Wahl jedoch schlägt die SPD mit ihrer Politik der verordneten Zuversicht einen riskanten Kurs ein. Es macht schließlich einen Unterschied, ob ein Bürgermeister jeden Tag Quartiere für immer neue Menschen auftreiben muss oder ob Sozialdemokraten in der aufgeklärten Atmosphäre einer Parteitagshalle an eine Symbolfigur der Weimarer Republik wie Philipp Scheidemann erinnern, der den Naziterror nur überlebt hat, weil Dänemark ihm damals eine neue Heimat bot.

    Auf diesem schmalen Grat zwischen Wunsch und Wirklichkeit nicht das Gleichgewicht zu verlieren: Das wird bis zur Wahl die größte Herausforderung für die SPD werden. In einer Koalition, in der die Grenzen zwischen den Koalitionären schon bis zur Unkenntlichkeit verschwommen waren, zieht sie jetzt eine klare Trennlinie. Obwohl auch sie gegen Obergrenzen und für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen eintritt, setzt sie sich ab von der Union, ohne zu wissen, ob ihr das nutzen oder schaden wird.

    SPD kommt bei Wählerumfrage auf 25 Prozent

    Die Chancen, dass Parteichef Sigmar Gabriel noch Kanzler wird, werden dadurch noch nicht besser. Obwohl die SPD in der Großen Koalition mit dem Mindestlohn, der Mietpreisbremse und der Rente mit 63 praktisch alles durchgesetzt hat, was ihr und ihren Wählern wichtig war, krebst sie in den Umfragen noch immer im Niemandsland um die 25 Prozent herum.

    Mit der Popularität von Angela Merkel alleine lässt sich das nicht mehr erklären. Die schwindet ebenso wie die Werte der Union, ohne dass die SPD etwas davon hätte. Ihr Problem ist ihre notorische Lust am Widerspruch, die jedem „Ja“ immer gleich ein „Aber“ oder gar ein „Nein“ folgen lässt wie zuletzt in der Diskussion über den Syrien-Einsatz der Bundeswehr, den der linke Flügel bei weitem nicht für so alternativlos hält wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

    Die fatale Neigung, Regierungs- und Oppositionspartei in einem zu sein, hat schon die Ära von Gerhard Schröder jäh beendet. Damals allerdings lag die SPD noch fast gleichauf mit der Union. Heute läuft sie Gefahr, in ein strategisches Loch zu fallen. Für ein Bündnis mit den Grünen ist sie im Bund schon zu schwach, einen Dreierpakt mit Grünen und Linken verbietet die politische Vernunft – damit bleibt ihr, wenn überhaupt, auf absehbare Zeit nur der Platz als Juniorpartner der Union mit einem Vizekanzler von Merkels Gnaden. So gesehen ist es nur konsequent, wenn der Parteitag jetzt das Trennende betont und nicht mehr das, was Sozialdemokraten in der Großen Koalition schon alles erreicht haben. Nichts fürchtet Sigmar Gabriel mehr, als dass die CDU mit der Zeit die bessere SPD wird.

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