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Kommentar: Die Sozialpolitik der Ampel-Koalition ist nicht gerade fortschrittlich

Kommentar

Die Sozialpolitik der Ampel-Koalition ist nicht gerade fortschrittlich

Rudi Wais
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    Die Renten steigen in den kommenden Jahren - das geht aber nicht dauerhaft so weiter.
    Die Renten steigen in den kommenden Jahren - das geht aber nicht dauerhaft so weiter. Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild)

    Die SPD hat gut verhandelt - aber hat sie auch klug verhandelt? Mit dem Arbeitsministerium, dem Gesundheitsministerium und dem eigens geschaffenen Ministerium für Bauen und Wohnen beansprucht sie in der neuen Regierung quasi das Alleinvertretungsrecht für die großen sozialen Fragen. Hartz IV, Rente, Pflege, Krankenversicherung, Mietrecht, sozialer Wohnungsbau: Überall geben künftig Ministerinnen und Minister der SPD den Takt vor, alleine das Familienministerium ist an die Grünen gegangen, deren sozialpolitische Vorstellungen sich allerdings nicht groß von denen der Sozialdemokraten unterscheiden.

    Drohen am Ende höhere Steuern und Beiträge?

    Aus Sicht der SPD folgt das einer gewissen Logik, weil sie sich wieder als Partei des sozialen Ausgleichs profilieren will, die von oben nach unten verteilt und vor allem die Interessen von Arbeitenden und Arbeitslosen im Auge hat. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht jedoch birgt diese Strategie enorme Risiken, weil die sich schon abzeichnende neue Großzügigkeit in konjunkturell schwierigeren Zeiten nur mit höheren Beiträgen oder höheren Steuern zu finanzieren ist. Hier fehlt in der Statik der Ampel ein ausgleichendes, die unterschiedlichen Interessen der Sozialpartner ausbalancierendes Element – etwa in Gestalt eines Wirtschaftsministers von der FDP, der auch die andere Seite, nämlich die der Unternehmen, im Auge hat. Von einem Wirtschaftsminister Habeck sind solche Impulse eher nicht zu erwarten.

    Der vorherige und der nächste SPD-Kanzler: Olaf Scholz (links) und Altkanzler Gerhard Schröder 2016 in Hamburg.
    Der vorherige und der nächste SPD-Kanzler: Olaf Scholz (links) und Altkanzler Gerhard Schröder 2016 in Hamburg. Foto:  Klaus-Dietmar Gabbert, dpa (Archivbild)

    Abgesehen von durchaus plausiblen Plänen wie dem Bündeln der vielen familienpolitischen Leistungen oder einer Reihe von Verbesserungen in Struktur und Finanzierung der Pflege, kann die Ampel ihren Anspruch, mehr Fortschritt zu wagen, in der Sozialpolitik nicht einlösen. Mit dem faktischen Ende von Hartz IV etwa verabschieden sich die SPD und die Grünen endgültig vom Prinzip des Förderns und Forderns, dem zentralen Element von Gerhard Schröders Agenda 2010. Wer in Zukunft einen Termin beim Jobcenter schwänzt oder eine Stelle ausschlägt, hat so schnell nichts mehr zu befürchten. Die Sozialbürokratie ist wieder geduldiger mit ihren Klienten, Sanktionen sind für sie kein Mittel zum Zweck mehr, sondern nur noch Ultima Ratio. Dass das auf Dauer eher zu mehr Arbeitslosigkeit anstatt zu weniger führt, liegt auf der Hand.

    Die SPD unterschätzt die Demografie

    Noch dramatischer aber sind die Versäumnisse bei der Rente. Dass die neue Koalition für deren Finanzierung einen Kapitalstock von zehn Milliarden Euro aufbauen will, klingt zwar zeitgemäß und innovativ, ist aber nicht mehr als ein politischer Placebo. Würde dieses Kapital an den Börsen, zum Beispiel, eine jährliche Rendite von vier Prozent abwerfen, erhielte jede Rentnerin und jeder Rentner nicht einmal 20 Euro mehr Rente – im Jahr, nicht im Monat! Dabei ist der Reformdruck gewaltig: Warum, zum Beispiel, hat die SPD nicht den Mut, das Rentenalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln und nach der Rente mit 67 schrittweise die Rente mit 68 oder 69 einzuführen? Wie will sie das gegenwärtige Rentenniveau halbwegs stabil halten, wenn immer weniger Beschäftigte für immer mehr Rentner aufkommen müssten? Wäre es nicht vernünftiger, die private Zusatzvorsorge verpflichtend einzuführen, um Altersarmut zu vermeiden?

    Die Sozialpolitik ist kein politischer Ponyhof, sondern ein ständiges Ringen um Leistungen und Zumutungen. Welche Aufgaben die Demografie der Politik hier stellt, unterschätzt die SPD bis heute. Indem er ehrlich zu den Menschen war und ihnen auch etwas zugemutet hat, hat Gerhard Schröder das Land einst aus seiner Lethargie gerissen – assistiert, das nur nebenbei, von Olaf Scholz. Der aber plant keine Agenda 2030, sondern dreht das Rad teilweise sogar zurück.

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