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Kommentar: Die Regierung Netanjahu ist eine Gefahr für die Demokratie in Israel

Kommentar

Die Regierung Netanjahu ist eine Gefahr für die Demokratie in Israel

Simon Kaminski
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    Zehntausende protestierten am vergangenen Wochenende in Tel Aviv gegen die geplante Justizreform der Regierung Netanjahu.
    Zehntausende protestierten am vergangenen Wochenende in Tel Aviv gegen die geplante Justizreform der Regierung Netanjahu. Foto: Ilia Yefimovich, dpa

    Bisher gab es noch gegen jede Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Proteste auf der Straße. So wie auch jetzt wieder. Doch diesmal ist es anders. Diesmal werden die rund 80.000 Frauen und Männer, die am Wochenende in Tel Aviv zu einer Großkundgebung zusammenkamen, in Israel, aber auch im Ausland von einer breiten Koalition aus Politikern und Juristen unterstützt, die eines umtreibt: die Sorge um die Gewaltenteilung und die Demokratie in Israel. 

    Netanjahu hatte schon früher konservative Regierungen unter Einschluss ultraorthodoxer und nationalistischer Parteien gebildet. Nun allerdings konnte der 73-Jährige, gegen den noch immer wegen Korruption ermittelt wird, nur an die Macht gelangen, in dem er sich auf Rechtsextreme und Ultraorthodoxe mit radikalen Positionen stützt. So ist beispielsweise ausgerechnet Itamar Ben-Gvir Polizeiminister – ein unter anderem wegen Aufstachelung zum Rassenhass verurteilter Politiker.

    Neue Regierung in Israel unter Netanjahu plant heikle Justizreform

    Besonders heikel ist die geplante Justizreform. Wird sie beschlossen, kann die Mehrheit im Parlament in Zukunft willkürlich Gesetze verabschieden, selbst wenn sie nach Ansicht des Höchsten Gerichts gegen das Grundgesetz verstoßen. Der Vorstoß von Justizminister Jariv Levin verletzt ganz offensichtlich demokratische Mindeststandards. Entsprechend alarmiert ist die Vorsitzende des Höchsten Gerichts in Israel, Esther Chajut. Sie warnte, dass diese Reform ein „tödlichen Schlag“ gegen die Unabhängigkeit der Richter sei. Kaum weniger dramatisch klingt eine Erklärung, die von elf früheren General- und Staatsanwälten unterzeichnet wurde: „Wir sind überzeugt, dass dieser Plan keine Verbesserung des (Justiz-)Systems verspricht, sondern es vielmehr zu zerstören droht“, heißt es in dem Papier. Staatspräsident Izchak Herzog fürchtet eine Spaltung des Landes. Die Fundamente der Demokratie, zu denen das Justizsystem gehöre, seien „heilig“ und müssten „streng bewacht“ werden. 

    Doch die Justizreform ist nicht der einzige Irrweg, auf den das Kabinett Netanjahu zusteuert. Ultrareligiöse in der Regierung wollen es privaten Dienstleistern, ja sogar Ärzten freistellen, Kunden oder Klienten aus religiösen oder ideologischen Gründen abzulehnen. Betroffen könnten Andersgläubige, Geschiedene oder Homosexuelle sein. Gleichzeitig fordern die Fundamentalisten weitere Privilegien für ihre Wähler. Wenn noch mehr Ultraorthodoxe nicht arbeiten müssen und für den Militärdienst wegfallen, zahlen die Wirtschaft und der Staat die Zeche. 

    Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat Rassisten und religiöse Fanatiker in sein Kabinett geholt. Das ganze Land könnte die Zeche zahlen.
    Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat Rassisten und religiöse Fanatiker in sein Kabinett geholt. Das ganze Land könnte die Zeche zahlen. Foto: Ronen Zvulun, Pool Reuters, AP, dpa

    Das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern könnte sich dramatisch verschlechtern. Natürlich fällt es immer schwerer, den Glauben an eine Zwei-Staaten-Lösung am Leben zu erhalten. Die Pläne der Regierung für das Westjordanland haben jedoch das Potenzial, eine kaum kontrollierbare Eskalation auszulösen. Fasst man das Koalitionsabkommen zusammen, soll Siedlungsbau immer Vorfahrt haben, auch da wo die Projekte auch nach israelischem Recht illegal waren und sind. Gleichzeitig ist die Rede davon, bereits genehmigte palästinensische Bauvorhaben auszuhebeln. Unverkennbar die Handschrift der starken Kräfte im Kabinett, deren klares Ziel eine schleichende Annexion des Westjordanlandes ist. 

    Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, kommentierte im Tagesspiegel unmissverständlich:„Einschlägig vorbestrafte Rechtsextreme im Kabinett oder Gesetzesänderungen, damit korrupte Politiker Minister werden können, sind ein Tiefpunkt der israelischen Politikgeschichte.“ Gleichzeitig fügte Schuster hinzu, „dass es keine reflexhafte Abkehr von“ Israel geben dürfe. Das ist so prägnant, wie ausgewogen formuliert. 

    Entscheidend wird sein, wie schlagkräftig der Widerstand gegen die Pläne sein wird

    Verteidiger Netanjahus wenden ein, dass nur er in der Lage sei, die rechtsextremen und antidemokratischen Kräfte in seiner Regierung zu bändigen. Doch er allein hat entschieden, dass Hetzer und Fanatiker jetzt am Kabinettstisch sitzen. Ohne sie kann er nicht regieren. Er hat sich zur Geisel gemacht. Die Sorge um Israel ist groß, und zwar insbesondere bei den erklärten Freunden des Landes – leider aus guten Gründen. Entscheidend wird sein, wie schlagkräftig und ausdauernd die Kräfte sind, die das schrittweise Abgleiten in ungarische Verhältnisse verhindern wollen. 

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