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Kommentar: Die Regierung muss verhindern, dass aus dem Flüchtlingszustrom neuer Hass entsteht

Kommentar

Die Regierung muss verhindern, dass aus dem Flüchtlingszustrom neuer Hass entsteht

Michael Kerler
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    Eine aus der Ukraine geflüchtete Familie geht am Morgen am Grenzübergang Medyka kurz hinter der ukrainischen Grenze auf polnischer Seite zu einem Bus.
    Eine aus der Ukraine geflüchtete Familie geht am Morgen am Grenzübergang Medyka kurz hinter der ukrainischen Grenze auf polnischer Seite zu einem Bus. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Im Schatten der Gaskrise, des Streits um die Atomlaufzeiten und Waffenlieferungen ist ein Thema in den vergangenen Wochen fast in den Hintergrund gerückt. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge steigt. Und sie steigt massiv. Ganz anders als zur Flüchtlingskrise 2015 wird dies öffentlich zwar deutlich weniger debattiert. Das Thema könnte im Winter aber zu einer großen Herausforderung werden.

    Rund eine Million Menschen aus der Ukraine hat Deutschland seit dem Kriegsbeginn aufgenommen, sagte unlängst Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Darunter viele Frauen, viele Kinder. Derzeit weiß niemand, wie viel es noch werden. Es könnten sehr viele sein, die Schutz suchen, fährt Russlands Präsident Wladimir Putin mit seiner zynischen Kriegstaktik fort, Städte im Herzen der Ukraine bombardieren zu lassen. Dazu kommt, dass auch aus Afghanistan, Syrien oder afrikanischen Ländern mehr Flüchtlinge über den Balkan hierzulande ankommen. Die Herausforderung für Bund, Länder und Kommunen ist es, den ankommenden Menschen gerecht zu werden, ohne dass die Stimmung in der heimischen Bevölkerung kippt. Ohne dass politischen Brandstiftern neuer Zunder gegeben wird. Die Flüchtlingskrise 2015 hat die AfD stark gemacht, das braucht es kein zweites Mal.

    Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland: Bisher hat vieles gut funktioniert

    Zuallererst bedeutet dies, eine ganze Menge praktischer Probleme zu lösen. Die ankommenden Flüchtlinge brauchen Wohnraum, Sprachkurse, die Kinder einen Platz in der Schule. Bisher hat vieles glücklicherweise gut funktioniert, ganz ohne das Pathos eines „Wir schaffen das!“ Auch die private Hilfsbereitschaft war riesig, zahlreiche engagierte Familien nahmen ukrainische Frauen und Kinder auf.

    Doch inzwischen geraten die Kommunen zunehmend an ihre Grenze, Unterkünfte werden knapp. Es ist deshalb gut, dass der Bund mehr Zimmer für die Ankommenden zur Verfügung stellen will, zum Beispiel in früheren Kasernen. Die Kommunen benötigen auch mehr Sicherheit, mit welchen Finanzmitteln des Bundes sie rechnen können. Zu verhindern, dass in Balkanländern oder anderen europäischen Staaten Flüchtlinge lediglich nach Deutschland „durchgewinkt“ werden, gehört ebenfalls zu einem realistischen Umgang mit Migration und Flucht. Das Thema ist eine europäische Aufgabe.

    Viele Menschen in Deutschland spüren Knappheit in ihrem Alltag

    Neben den ganz praktischen Problemen wird es für die Regierung auch darauf ankommen, das Gefühl zu vermeiden, dass die eigene Bevölkerung übervorteilt oder vergessen wird. Nichts lässt die politische Stimmung derart schnell kippen als das dumpfe Gefühl, dass der Staat vermeintlich für Fremde viel Geld ausgibt, für die eigenen Bürgerinnen und Bürger aber nicht. Meist ist das Gefühl falsch, Deutschland ist ein gut ausgestatteter Sozialstaat, der viel Geld verteilt, von Kaufprämien für E-Autos bis zum Kindergeld.

    Tatsächlich spüren aber auch viele Menschen Knappheit im Alltag: Eine neue Wohnung ist schwer zu finden. Strom, Gas und Heizöl sind massiv teurer geworden. Vielleicht macht auch der Arbeitsmarkt bald größere Probleme. Je existenzieller die Belastungen werden, desto wichtiger wird es für die Regierung, ein Signal an die eigene Bevölkerung zu senden, dass man für sie da ist. Vielleicht helfen hier Maßnahmen wie die Strom- und Gaspreisbremse. Noch stärker aber könnte es eine kommunikative Aufgabe sein. Die Ampel unter Kanzler Olaf Scholz muss den Bürgern vermitteln, dass sie die Nöte kennt und sich kümmert.

    Gegen Hetze und Hass muss die Bundesregierung eine klare Linie zeigen

    Letztlich aber kann und muss unser Staat nicht alles akzeptieren. Er muss Mut und Haltung zeigen. Die Flüchtlingskrise 2015 und auch die Corona-Krise haben gezeigt, dass es Hetzer, Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und Radikale gibt, die Hass bewusst schüren. Hier haben Kompromissfähigkeit und Verständnis keinen Platz, hier gilt es eine klare Linie zu zeigen und Nein zu sagen. Politisch Verfolgte haben nach unserem Grundgesetz ein Recht auf Asyl, gleich, aus welchen Staaten sie kommen. Kriegsflüchtlingen gewähren wir Schutz, das gehört zum Selbstverständnis der Bundesrepublik. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit.

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