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Kommentar: Die Politik droht sich mit der Impfpflicht zu blamieren

Kommentar

Die Politik droht sich mit der Impfpflicht zu blamieren

Michael Pohl
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    Wer übernimmt die Führung beim Thema Impfpflicht?
    Wer übernimmt die Führung beim Thema Impfpflicht? Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Die große politische Frage lautet, wie kommt Deutschland aus der Pandemie? Wie kehrt das Land aus dem Ausnahme- in einen Normalzustand zurück? Dies sollte beherrschendes Thema in der Regierungspolitik sein. Doch Bund und Länder handeln nur kurzfristig, fahren auf Sicht. Die Regeln für die Bevölkerung ändern sich monatlich. Selbst wer sich auf dem Laufenden hält, verliert im Wirrwarr um „2G“ mit oder ohne Plus, „Booster“-Fristen und Zugangsvorschriften oft den Überblick, was wo gerade gilt.

    Vor dem Jahreswechsel verbreitete sich bei vielen Verantwortlichen unter dem Schock der heftigen Welle der Deltavariante die Auffassung, dass eine allgemeine Impfpflicht den Ausweg aus der Pandemiespirale weisen könnte. Doch binnen weniger Wochen gerät das Vorhaben wieder ins Wanken.

    Lauterbach und Scholz üben sich in politischer Schizophrenie

    Viele scheinen den Mut zum großen Schnitt zu verlieren. Selbst die größten Befürworter Karl Lauterbach und Olaf Scholz üben sich in politischer Schizophrenie: Als Abgeordnete fordern sie eine Impfpflicht, als Regierungsmitglieder wollen sie neutral bleiben. Derlei Pirouetten werden kaum helfen, Skeptiker zu überzeugen, sondern blamieren die Politik. Nicht nur die Opposition verlangt von einer Regierung Führung. Es ist schlicht ihr Auftrag.

    Es gibt gute Argumente für und gegen eine Impfpflicht. Für sie spricht, dass sie die erfolgversprechendste Lösung ist, Deutschland wieder in die Normalität zu führen. Mit einem Leben ohne Test- und Maskenzwang. Eine Garantie dafür gibt es nicht. Auch zuvor als Wundermittel gefeierte Innovationen wie die Corona-Warnapp oder Schnelltests brachten keinen Durchbruch. Die Impfungen schützen Millionen Menschen. Doch im zynischen Hase-und-Igel-Spiel erweist sich das Virus mit seinen Varianten als zäher Gegner.

    Ehrliche Debatte über Impf-Nebenwirkungen nötig

    Eine Impfpflicht wäre ein Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit. Es geht dabei nicht um die Impfspritze, sondern um deren Nebenwirkungen. Dies nicht zu verschweigen, gehört zur Ehrlichkeit der Debatte.

    Typische Immunreaktionen wie Fieber und Schmerzen gibt es häufig. Auch schwere Fälle sind nachgewiesen: AstraZeneca wurde faktisch aus dem Markt gezogen, weil kaum Zweifel bestehen, dass es für über ein Dutzend tödlicher Hirnthrombosen verantwortlich war. Moderna wird nicht mehr an unter Dreißigjährige verimpft, weil es wegen seiner hohen Dosis in sehr seltenen Fällen bei jungen Männern zu Herzmuskelentzündungen führen kann. Allergische Reaktionen sind schnell behandelbar.

    Insgesamt zählen die milliardenfach verabreichten Corona-Impfstoffe aber zu den sichersten überhaupt. Deshalb gib es wenig Zweifel, dass das Verfassungsgericht einer allgemeinen Impfpflicht wie schon vor zwei Jahren bei Masern den Segen aus Karlsruhe erteilt.

    Verantwortung darf nicht zerredet werden

    Es wirkt befremdlich, dass einige Politiker der FDP, die gerade eine Impfpflicht für das von der Pandemie besonders geschundene Krankenhauspersonal bedenkenlos durchgewunken haben, nun bei der nicht geimpften Minderheit die Bürgerrechte in Gefahr sehen. Man sollte das Argument der Freiheit nicht missbrauchen. Die Freiheit der gesamten Gesellschaft leidet unter der Rücksicht auf den nicht geimpften Teil der Bevölkerung.

    Denn hauptsächlich wegen der ungeimpften Corona-Patientinnen und -Patienten herrscht auf den Intensivstationen Ausnahmezustand. Am meisten leiden darunter andere Patienten, deren Operationen verschoben werden müssen, oder Kranke, die nicht schnell genug Hilfe bekommen. Deshalb sollte die Impfpflicht aus der Perspektive der unter der Pandemie Hauptleidtragenden diskutiert und nicht in endlosen Debatten zerredet werden.

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