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Kommentar: Die Ostdeutschen sollten dankbarer sein

Kommentar

Die Ostdeutschen sollten dankbarer sein

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    Wahlplakat der AfD im thüringischen Sonneberg. Die Partei hat es geschafft, die Linke als Ost-Partei abzulösen.
    Wahlplakat der AfD im thüringischen Sonneberg. Die Partei hat es geschafft, die Linke als Ost-Partei abzulösen. Foto: Martin Schutt, dpa

    Die Summe ist im wahrsten Sinne des Wortes unvorstellbar. Der Westen hat die Deutsche Einheit mit 1,6 Billionen Euro bezahlt. Es ist eine Zahl mit 12 Nullen. Obwohl niemand so genau weiß, wie viel Geld in den abgewirtschafteten Osten geflossen ist. Die 1,6 Billionen sind eine Schätzung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aus dem Jahr 2018. 

    In den 1,6 Billionen enthalten sind Abermilliarden für die maroden ostdeutschen Straßen und Schienen, der Ausgleich des Treuhand-Defizits und der Auslandsschulden der DDR, und die Transfers in die Rentenkasse und die Arbeitslosenversicherung.

    Westdeutsche und Ostdeutsche: Nutzen und Tücke des reichen Onkels

    Die Ostdeutschen hatten einen wohlhabenden Sponsor, der ihnen den Weg in Demokratie und Kapitalismus materiell leichter machte. Der reiche Onkel hat also ein großes Dankeschön verdient, doch der lieben Verwandtschaft aus der abgeschafften DDR kommt es nicht über die Lippen. Die einstigen sozialistischen Brüder und Schwestern aus Polen und Tschechien hatten keinen reichen Onkel. Dementsprechend gibt es viel weniger breite Autobahnen und modern ausgestattete Krankenhäuser. Und die Renten sind auch nicht so üppig. 

    Dennoch ist die Sehnsucht nach dem untergegangenen Sozialismus – die Ostalgie – viel schwächer ausgeprägt als in Ostdeutschland. Über drei Jahrzehnte nach der Deutschen Einheit scheinen Ost und West paradoxerweise uneinig zu werden. Das hat auch viel mit dem reichen Onkel zu tun, der einerseits sein Portemonnaie weit aufmachte, aber von dem man auch abhängig war. Und er schickte seine Freunde und Bekannte in den Osten, um dort zu regieren, Recht zu sprechen, Behörden zu leiten und eine ganze Volkswirtschaft abzuwickeln. Die in den 90er Jahren erlittene Kränkung und die Furcht vor dem Abstieg machten viele Herzen bitter, so dass sie zu Dankbarkeit nicht mehr fähig waren. 

    Heute feiert die DDR bei einer bedeutenden Minderheit der Ostdeutschen eine ostalgische Renaissance. In der zuletzt viel zitierten Leipziger Studie zu den politischen Einstellungen der Ostdeutschen sagten zwei Drittel, sie seien froh, dass sie die DDR noch erlebt hätten. Im ersten Moment klingt das wahnwitzig. Das SED-Regime hatte die eigenen Leute eingemauert, die Stasi verbreitete Angst, es gab keine Meinungs- und Pressefreiheit und die Wirtschaft litt Mangel. 

    Die Verklärung der DDR: Erinnern heißt Vergessen

    Der in München lehrende Soziologe Armin Nassehi erklärt die Verklärung der DDR mit ihrer Funktion. Es ist die Projektionsfläche für die Unzufriedenheit mit dem Heute. Erinnern ist demnach vor allem Vergessen. Das funktioniert gerade, weil die DDR mittlerweile schon so lange Geschichte ist. Das Böse wird ausgeblendet. Was auf gesellschaftlicher Ebene passiert, kennt jeder aus dem eigenen, persönlichen Blick in den Rückspiegel. Die als ätzend empfundene Schulzeit wird mit den Jahren zur schönsten, ungezwungenen Zeit. 

    Die Partei, die von der Verklärung der DDR am stärksten profitiert, ist die AfD. Dieses Bekenntnis zu einer Diktatur, die man einst selbst gestürzt hatte, ist nur eine unter mehreren Provokationen, um den überwiegend westdeutsch geprägten Eliten eins auszuwischen. Eine andere ist der Rechtsradikalismus, mit denen Unzufriedene in den 80er Jahren die SED herausforderten, die den Faschismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet haben wollte. Ironischerweise ist die AfD eine Partei, die von Westdeutschen dominiert wird. 

    Für die Landtagswahlen im nächsten Jahr in Brandenburg, Sachsen und Thüringen heißt das nichts Gutes. Der Alternative für Deutschland ist es gelungen, zuallererst eine Alternative für Ostdeutsche zu sein. Sie verkörpert das Gefühl des Protests. Dankbarkeit und Protest vertragen sich nicht.

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