Es mutet kurios an, wenn ein Mann mit wenigen Haaren auf dem Kopf die „Aktion Silberlocke“ ausruft. Gregor Gysi hat allerdings von etwas anderem viel: Erfahrung. Außerdem einen Bekanntheitsgrad, der fast allen anderen Linken völlig abgeht. Sein Ansehen will Gysi nun einsetzen, um den fortschreitenden Bedeutungsverlust seiner Partei aufzuhalten. Er werde sich mit dem ehemaligen Fraktionschef Dietmar Bartsch und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow zusammensetzen und mit ihnen über eine Kandidatur für die nächste Bundestagswahl sprechen, kündigte der 76-Jährige an. Diese „drei alten Herren und Genossen“ würden dann in den Wahlkampf eingreifen und versuchen, ein Direktmandat zu bekommen.
Hinter der Aktion steckt mehr als nur eine Anekdote. Mit drei Direktmandaten könnte die Linke dank der Grundmandatsklausel selbst dann im nächsten Bundestag vertreten sein, wenn sie nicht über die Fünf-Prozent-Hürde springt. Bartsch, Ramelow und Gysi ist das durchaus zuzutrauen. Auf der anderen Seite ist der Plan ein Akt der Verzweiflung. Der Personenkult zeigt: Mit Inhalten geht bei der Linkspartei gerade gar nichts mehr.
Auf ihrem Parteitag in Halle wählten die Linke an diesem Wochenende einen neuen Vorstand. Janine Wissler und Martin Schirdewan hatten zuvor entmutigt hingeschmissen, Ines Schwerdtner und Jan van Aken bilden die neue Doppelspitze. Erstere ist erst seit einem Jahr Mitglied der Linken. Van Aken saß von 2009 an zwei Legislaturperioden im Bundestag und machte sich einen Namen. In Halle allerdings erklärte er, die „unanständig Reichen“ hätten nur so viel Geld, weil sie es „anderen weggenommen“ hätten. Als Parteiprogramm taugt solch eine Polemik nicht.
35 Jahre nach dem Mauerfall hat die Linke ein biologisches Problem. Die treuen Anhänger sterben weg. Die junge Generation braucht kein Ventil für Wende-Frust, sie macht sich Sorgen um die Rente und hat gegen ein gut gefülltes Bankkonto nichts einzuwenden. Statt gegen Vermögende zu hetzen, müsste die Linke zukunftsgewandte Angebote machen. Da ist sie noch blank, der Leitantrag für den Parteitag in Halle liest sich phasenweise wie ein kommunistisches Manifest und nicht wie eine moderne Ansprache, die auf TikTok und Instagram zur Kenntnis genommen wird.
Existenzbedrohung für die Linke
Van Aken und die anderen Verantwortlichen in der Partei sind nicht naiv. „Die Linke ist zweifellos in einer gefährlichen, existenzbedrohenden Situation“, heißt es im Leitantrag. Um den Kollaps abzuwenden, will die Partei im kommenden Jahr bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg sowie den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen gute Auftritte hinlegen und am 28. September bei der Bundestagswahl punkten.
Aussichtslos ist das nicht. Die Wahlen im Osten gerieten für die Linkspartei einerseits zum Desaster. Sie hat ihre Basis dort ebenso verloren wie ihren Nimbus als Protestpartei. Andererseits ist sie in Sachsen und Thüringen immerhin noch in den Landesparlamenten vertreten. Nach Parteiangaben ist die Mitgliederzahl nicht nur stabil, sondern sogar gewachsen.
Plakate für den zurückliegenden Landtagswahlkampf in Sachsen zeigten unter anderem Gregor Gysi, dazu der Mitleid heischende Satz: „Mal unter uns: Ihnen würde was fehlen.“ Stimmt so nicht, auf die alte Linkspartei können viele Wählerinnen und Wähler gut verzichten. Eine runderneuerte Linke hingegen wäre ein Angebot, das gerade in Zeiten des ständigen Rechtsrucks wohl wieder Zuspruch finden könnte.
In einem kann ich Stefan Lange recht geben: Eine runderneuerte und vorwärtsgerichtete, nicht mit alten Denkschablonen belastete "neue" Linke wäre gerade heute eine notwendige Alternative und Ergänzung zum derzeit bei uns bestehenden Parteienspektrum. Mit der "Aktion Silberlocke" dürfte dies aber kaum gelingen. Wie sang doch einst schon Ina Deter: "Neue Männer braucht das Land". Aber auch neue Frauen nach Sarah Wagenknecht.
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