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Kommentar: Die Linke steht vor dem Abgrund

Kommentar

Die Linke steht vor dem Abgrund

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    Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler (links) will die Partei nach dem Rücktritt von Co-Chefin Susanne Hennig-Wellsow vorerst alleine weiterführen.
    Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler (links) will die Partei nach dem Rücktritt von Co-Chefin Susanne Hennig-Wellsow vorerst alleine weiterführen. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Für die Linke geht es in den kommenden Wochen ums Überleben. Gelingt es ihr nicht, den Skandal um mutmaßliche sexualisierte Gewalt im hessischen Landesverband rasch aufzuarbeiten, wird sie in der Bedeutungslosigkeit versinken. Für eine Partei, die sich neben dem Klassenkampf vor allem auch den Feminismus auf die rote Fahne geschrieben hat, sind die undurchsichtigen Vorgänge, die jetzt ans Licht kommen, pures Gift. Es geht um sexuelle Übergriffe älterer Parteimitglieder auf jüngere, teils noch minderjährige Personen. Und um Führungskräfte, die offenbar davon wussten, den Opfern aber nicht halfen.

    Völlig frustriert gab nun mit Susanne Hennig-Wellsow die eine Hälfte der bisherigen Doppelspitze auf. Ausgerechnet Janine Wissler, deren ehemaliger Lebenspartner in die Sex-Affäre verwickelt zu sein scheint, soll nun noch lange Wochen bis zu einer Neuwahl allein die Partei führen. Das kann nur schiefgehen, denn Vorwürfe, nach denen Wissler als damalige hessische Landeschefin von den Vorfällen zwar gewusst, aber nichts unternommen habe, sind noch nicht ausgeräumt.

    Mission von Wissler und Hennig-Wellsow bei der Linken gescheitert

    Erst Anfang 2021 waren Wissler und Hennig-Wellsow angetreten, um die von inneren Widersprüchen zerfressene Partei zu einen. Dieser Versuch ist gründlich gescheitert. Schon bei der jüngsten Bundestagswahl stürzte die Linke unter die Fünf-Prozent-Hürde. Nur durch Direktmandate konnte sie überhaupt in den Bundestag einziehen.

    Im Wahlkampf hatte die Union in ihrer Verzweiflung das Schreckgespenst einer wirtschaftsfeindlichen und außenpolitisch verantwortungslosen Regierungskoalition aus SPD und Grünen mit der Linkspartei entworfen. CDU und CSU hat es bekanntlich nichts genützt, doch heute gibt selbst Linken-Urgestein Gregor Gysi indirekt zu, dass die Konservativen recht hatten. „Wenn wir jetzt in der Regierung wären – das wäre eine absolute Katastrophe“, sagte der Außenpolitiker. Eine Partei, die Nato und Bundeswehr erklärtermaßen für Teufelszeug hält, zu Russland aber lange ein allzu unkritisches Verhältnis pflegte, wäre angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine gewaltige Belastung für eine Bundesregierung.

    Bei der Linken geben ideologisch starre Funktionäre den Ton an

    Unbestritten ist, dass es Linken-Politikerinnen und -Politiker gibt, oft mit gewerkschaftlichem Hintergrund, die sich mit Herzblut für all jene einsetzen, deren karger Lohn für harte Arbeit kaum zum Leben reicht. Doch den Ton in der Partei geben heute ideologisch starre Funktionäre an, bei denen sich alte marxistische Dogmen mit neuer, identitätspolitischer Rhetorik mischen. Sahra Wagenknecht, weiter bekannteste Linken-Politikerin, intern aber abgemeldet, rechnete kürzlich in einem Buch mit der „Lifestyle-Linken“ ab, die sich stets politisch hyperkorrekt verhalte – Paketbotinnen oder Klein-Rentner aber längst nicht mehr anspreche. Kümmerer-Partei für die Menschen in abgehängten Landstrichen ist die Linke schon lange nicht mehr – auch nicht im Osten.

    Die Ursachen für den Niedergang sind vielfältig. Nie hat die Linke ihre Wurzeln als Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED kritisch aufgearbeitet. Für radikale Gruppen in ihrem Dunstkreis gibt es wohlwollendes Verständnis. Vom Verfassungsschutz beobachtet werden etwa die Sozialistische Linke, die Antikapitalistische Linke, die Kommunistische Plattform und Marx21. Diese Zusammenschlüsse innerhalb der Partei arbeiten nach Überzeugung der Verfassungsschützer auf einen „grundsätzlichen Systemwechsel“ hin.

    Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht  unterhalten sich bei einer  Fraktionssitzung im Oktober 2015.
    Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht unterhalten sich bei einer Fraktionssitzung im Oktober 2015. Foto: picture alliance / dpa

    Wenn das in der Partei eher unter Folklore läuft, wundert es nicht, dass die Berliner Linksjugend aktuell fordert, Israel konsequent als "Apartheidstaat" zu benennen, sämtliche Sanktionen gegen Russland aufzuheben, alle Waffenlieferungen an die Ukraine zu stoppen und die Nato zu zerschlagen. Immerhin: Neben reichen Deutschen sollen auch russische Oligarchen enteignet werden. Sektierer und Wirrköpfe geben immer mehr den Ton an, doch Antworten auf die Ängste vieler Menschen vor dem sozialen Abstieg haben die nicht. So hat die Partei, die das Kapital so leidenschaftlich bekämpft, ihr eigenes politisches Kapital völlig verspielt.

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