Der Stachel im Fleische ist weg. Sahra Wagenknecht hat die Linke verlassen. Mit ihr verliert die Partei ihr bekanntestes Gesicht, doch im Vorstand ist die Erleichterung spürbar. Endlich ist der Feind im Inneren samt seiner Getreuen aus dem gemeinsamen Lager ausgezogen. Vom anstehenden Parteitag in Augsburg soll nun ein Signal des Aufbruchs ausgehen. Ein neues Logo soll diesen verkörpern. Es ist der letzte Schuss, den die Linke hat, um ihr Verschwinden in der Unbedeutsamkeit der Splitterparteien aufzuhalten.
Die Ausgangslage ist schlecht. Durch Wagenknechts Abgang muss die Fraktion im Bundestag aufgelöst werden, der Terminus dafür ist Liquidation. Die Bedrohlichkeit, die in ihm mitschwingt, erfasst die Situation, in der sich die Partei befindet, treffender. Der Verlust des Fraktionsstatus bedeutet einen Verlust an Geld und Mitarbeitern.
Wagenknecht wird die Bühne nutzen
Er hat auch zur Folge, dass Wagenknecht wieder häufiger im Reichstag sprechen wird, was ihr die Fraktionsspitze zuletzt versagte. Die 54-Jährige wird die Auftritte zu nutzen wissen. Sie sitzt weiter im Parlament, wird eine Gruppe von Abgeordneten anführen.
An ihre Bekanntheit reicht die der Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler nicht heran. In der Politik ist das wahrscheinlich der entscheidende Wert. Es geht für Wähler darum, dass sich die eigenen politischen Werte in einer Person widerspiegeln, die sie vertritt. Nun stehen Schirdewan und Wissler glaubhaft für linke Politik, aber weil sie nicht sonderlich bekannt sind, wird die Partei nicht wahrgenommen. Bleibt Gregor Gysi als das alte Streitross der Linken, der sie nach der Wende 1989 wider alle Wahrscheinlichkeit vor dem Untergang rettete. Gysi ist 75 Jahre alt, hat mehrere Herzinfarkte hinter sich und es ist fraglich, ob er solch einen Kraftakt noch einmal stemmen kann.
Gewagt ist auch die inhaltliche Positionierung, die die Linke im politischen Spektrum anstrebt. Wagenknechts Analyse lautet, dass die Partei den Kampf für Arbeiter und Angestellte zugunsten der Befindlichkeiten großstädtischer Besserverdiener vernachlässigt hat. Vegane Ernährung, die korrekte Fortbewegung per Lastenrad und Gender-Sprache seien wichtiger als ein höherer Mindestlohn. Klassischerweise sind es die Grünen, die die Fragen der moralisch korrekten Lebensführung bewirtschaften.
Grüner als Grün im Osten?
Die Linke versucht nun, grüner als Grün zu sein. Das drückt sich auch darin aus, dass die Partei konsequent alle Flüchtlinge aufnehmen und sich als einzig verbliebene Friedenspartei präsentieren will. Bei der Europawahl ohne Fünf-Prozent-Hürde im Juni nächsten Jahres mag das vielleicht funktionieren, aber wichtiger für die Linke sind die Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im Herbst 2024.
In Thüringen stellt sie mit Bodo Ramelow ihren einzigen Ministerpräsidenten, in den beiden anderen Ländern ist sie weit von der einstigen Herrlichkeit starker Ergebnisse entfernt. Stärkste Kraft in den Umfragen ist die AfD, die von der zweiten Flüchtlingskrise binnen weniger Jahre profitiert. Ob im Osten ein Pro-Asyl-Kurs verfangen kann, ist jedoch zumindest höchst fraglich. Die Klientel der Grünen-Wähler ist dort sehr klein. Sahra Wagenknecht jedenfalls setzt genau auf das gegenteilige Versprechen einer scharfen Begrenzung der Zuwanderung, gepaart mit dem Ausbau des Sozialstaats. Gehen die drei ostdeutschen Länder verloren, ist die Linke kaum noch zu retten.
Erfolgreich kann die Neupositionierung nur werden, wenn die Grünen in der Ampelkoalition genügend Wähler verprellen, weil sie eine restriktive Asylpolitik mittragen und ihre Wurzeln aus der Friedensbewegung endgültig kappen. Das Risiko für die Linke ist groß, aber das ist immer so, wenn man nur noch einen Schuss frei hat.