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Kommentar: Die Krise der Kirchen geht uns alle an

Kommentar

Die Krise der Kirchen geht uns alle an

Daniel Wirsching
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    Schlägt den Kirchen in Deutschland bald das letzte Stündlein? Das würde so wohl niemand ernsthaft formulieren. Und doch ist der Zustand von evangelischer und katholischer Kirche alarmierend.
    Schlägt den Kirchen in Deutschland bald das letzte Stündlein? Das würde so wohl niemand ernsthaft formulieren. Und doch ist der Zustand von evangelischer und katholischer Kirche alarmierend. Foto: Silas Stein, dpa (Symbolbild)

    Das Verhältnis von Staat und Kirche in (West-)Deutschland war stets eng, in einigen Fällen zu eng. Annette Schavan, einst CDU-Bundesbildungsministerin und Botschafterin beim Heiligen Stuhl, sagte jüngst mit Blick auf ihre Partei: "Die Kirche hat uns immer erklärt, was wir zu tun haben." Lange her. Nach über einem Jahrzehnt der Missbrauchsskandale und Austrittsrekorde haben die beiden – noch großen – christlichen Kirchen massiv an Glaubwürdigkeit, Bedeutung und Einfluss eingebüßt.

    Was und wer könnte an die Stelle der Kirchen treten?

    Die Diskussion über ihre Privilegien wie Kirchensteuer, Religionsunterricht oder kirchliches Arbeitsrecht ist damit in eine neue Phase eingetreten. Der renommierte katholische Kirchenrechtler Thomas Schüller spricht von einer "unheiligen Allianz", die beendet gehöre. Fragt sich: Was und wer könnte an die Stelle der Kirchen treten? Es ist eine Frage von erheblicher Relevanz, die bislang weder auf politischer noch gesamtgesellschaftlicher Ebene angekommen zu sein scheint. Dabei bräuchte es dringend eine Debatte darüber.

    Zu dramatisch ist die Erosion von Religiosität und Institution in einem derart christlich und kirchlich geprägten Land wie Deutschland. Die in dieser Woche vorgestellte breit angelegte sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) liefert hierzu drastische Fakten: Nur vier Prozent der Katholischen und sechs Prozent der Evangelischen fühlen sich eng mit ihrer Kirche verbunden. 

    Man kann nun aus guten Gründen für eine striktere Trennung von Staat und Kirche sein. Doch man sollte sich bewusst machen: Bröckelt die Institution Kirche, bröckelt eine der Stützen der Gesellschaft. Und das sind Kirchen in vielen Bereichen, gerade aufgrund des überdurchschnittlichen ehrenamtlichen Engagements ihrer Mitglieder – wie es die KMU zeigt. Gesehen und gewürdigt wird das allerdings nicht genug. Was, durchaus mit einem gewissen Unbehagen, gesehen wird, das sind umgewidmete oder vom Abriss bedrohte Gotteshäuser. Aufgegebene kirchliche Schulen. Die Nöte der Wohlfahrtsorganisationen Diakonie (evangelisch) und Caritas (katholisch), die ja ebenfalls mit Inflation und Fachkräftemangel kämpfen. Erst kürzlich leitete das Diakonische Werk Passau ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ein. Es wird nicht das einzige bleiben. 

    Für den Staat, der in den Kirchen verlässliche Partner hatte, wird es unbequem werden

    Dem steht, nochmals die KMU, das hohe Vertrauen gegenüber, das Diakonie und Caritas im Gegensatz zu evangelischer und katholischer Kirche genießen. Als hätten Diakonie und Caritas nichts mit Kirche zu tun! Für die Kirchen wird das unter anderem heißen, Kräfte noch stärker aufs Karitative zu konzentrieren, auf Hilfen vor Ort, auch für Nichtmitglieder. Und das nicht, weil sie Sozialunternehmen mit angeschlossenem religiösem Angebot wären. Sondern um Beispiele gelebten Glaubens zu geben und so ihrer Krise etwas entgegenzusetzen. Auch dem Staat wird die Entwicklung einiges abverlangen. Spätestens in ein paar Jahren mit Renteneintritt der letzten "Babyboomer" wird die Kirchensteuer, deren Ablösung mehr als unwahrscheinlich ist, als wesentliche Finanzierungsquelle der Kirchen spürbar einbrechen. Für den Staat, der in ihnen verlässliche Partner hatte, wird es dann unbequem. 

    Sicher: Die Kirchen übernehmen Staatsaufgaben und erhalten dafür hohe Beträge. Doch sie wenden auch Millionen beispielsweise für Personal, Bau- und Instandhaltungskosten für Schulen und Kitas auf. Noch. Bald wird der Staat einspringen müssen, will er das jetzt schon lückenhafte Angebot einigermaßen aufrechterhalten. 

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