Ob Teppichmarkt, Koalitionsvertrag oder Bürgerkrieg: Es liegt im Wesen einer Verhandlung, dass für ein Ergebnis beide Seiten von ihren Maximalforderungen abrücken müssen. Israels Regierung hat das in den jüngsten Gesprächen über eine Waffenruhe in Gaza getan, indem sie ihre Bereitschaft signalisierte, das Feuer 40 Tage lang einzustellen und palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen zu entlassen, wenn die Hamas im Gegenzug zumindest einen Teil der Geiseln freilässt, die sie am 7. Oktober nach Gaza entführt hat.
Über Kerem Shalom kommen viele Hilfstransporte nach Gaza
Weit weniger kooperativ hat sich bislang die Hamas gezeigt, indem sie den Abzug aller israelischen Soldaten aus dem Gazastreifen zur Vorbedingung für ein neues Geiselabkommen gemacht hat. Nun scheint die Terrorbande zwar auf den Vorschlag der Vermittler aus Katar und Ägypten einzugehen und nach der einwöchigen Feuerpause im November eine weitere Waffenruhe zu garantieren. Was diese diffuse Zusage konkret bedeutet, wie viele Geiseln dadurch frei kommen, ob sie gar der Auftakt für weitere Verhandlungen über die Freilassung aller Geiseln sein kann, war am Montagabend noch unklar. Zu tief sitzt der Hass auf Israel und alles Jüdische bei ihren Kämpfern und Sympathisanten, als dass die Hamas plötzlich ihre Strategie wechseln würde. Möglicherweise will sie sich einfach nur Zeit kaufen – Zeit, um ihre Arsenale wieder zu füllen und neue Angriffe vorzubereiten.
Bei aller Hoffnung, dass die jetzt ausgehandelte Übereinkunft möglichst vielen Israelis in die Freiheit verhilft: Die Hamas ist kein Verhandlungspartner, auf den die Regierung von Benjamin Netanjahu sich wirklich verlassen kann. Die zehn Raketen auf Kerem Shalom, abgefeuert perfiderweise am Vorabend des Feiertages, an dem Israel der sechs Millionen Opfer des Holocaust gedenkt, hat der Welt noch einmal gezeigt, dass die Terroristen alles wollen, nur keinen Frieden. Die Menschen in Gaza, ihr Leid und ihre Angst, sind der Hamas egal. Sie hat nur ein Ziel: Israel zu schaden, es zu destabilisieren und in einen langen, zermürbenden Kleinkrieg zu verstricken. Eine Waffenruhe von einigen Wochen verschafft Israelis wie Palästinensern vielleicht etwas Luft zum Atmen. Daraus schon auf ein baldiges Ende des Krieges zu schließen, wäre allerdings reichlich naiv.
Die Hamas schadet nicht zuletzt den Menschen in Gaza
Vor diesem Hintergrund bleibt der israelischen Regierung gar nichts anderes übrig, als sich die Option auf eine militärische Offensive in der Grenzstadt Rafah zu erhalten, in der sich mehrere Bataillone der Hamas verstecken. Niemand kann Israel garantieren, dass die Hamas am Ende der Feuerpause nicht doch wieder zu den Waffen greift. Die Zivilisten, die bei einem israelischen Gegenangriff womöglich ums Leben kämen, nähme sie billigend in Kauf. Ja, schlimmer noch: Bilder von unschuldigen Opfern würden ihr zynischerweise sogar in die Karten spielen, weil sie das absurde Narrativ und das antisemitische Vorurteil nähren, nach dem Israel in diesem Konflikt nicht Opfer ist, sondern Täter.
So lange nicht klar ist, wie viele Geiseln noch leben und wie viele von ihnen jetzt tatsächlich zurück nach Israel kommen, lässt das Verhalten der Hamas nur einen Schluss zu: Entweder will sie möglichst viele Entführte möglichst lange als Faustpfand behalten, um deren Preis weiter in die Höhe zu treiben – oder es sind bereits deutlich mehr als die 30 Israelis tot, von denen bislang die Rede ist. Dann aber wäre auch das letzte Argument, das für ein zurückhaltendes Vorgehen Israels spricht, obsolet.