Auch mehr als 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist Deutschland noch ein geteiltes Land. Die eine Hälfte der Menschen lebt zur Miete, die andere in den eigenen vier Wänden. Auf den ersten Blick sieht das eher unspektakulär aus, bei genauerem Hinsehen jedoch birgt dieser Befund enormen sozialpolitischen Sprengstoff: Nirgendwo sonst in Europa, die Schweiz ausgenommen, gibt es im Verhältnis zur Bevölkerung weniger Immobilienbesitzer.
Für ein Land mit allenfalls mittelprächtigen Renten und immer höheren Mieten heißt das: Hunderttausenden seiner Bürger droht im Alter Armut.
Der Druck auf die Mieten bleibt hoch
Zwar sagt die Eigentumsquote allein noch nicht viel über den Wohlstand einer Volkswirtschaft aus – in Osteuropa etwa wohnen 96 von 100 Rumänen und 84 von 100 Bulgaren in einem eigenen Haus oder einer eigenen Wohnung und sind häufig trotzdem alles andere als gut situiert. Zu denken geben aber muss der deutschen Politik der hohe Anteil an Mietern dennoch. Wohneigentum ist ja nicht nur ein Synonym für sozialen Aufstieg, es ist auch ein Beitrag zur Absicherung im Alter. Wer im Ruhestand mietfrei wohnt, ist eine große Sorge oft schon los – nämlich die, dass die Rente nicht reicht. Auch gesamtwirtschaftlich wirkt eine niedrige Eigentümerquote fatal: Wenn immer weniger Menschen in eine eigene Immobilie ziehen, wächst auch der Druck auf den Mietmarkt, was am Ende nur zu noch höheren Mieten führt.
Die große soziale Frage des 19. und des 20. Jahrhunderts war die nach der Arbeit, nach ihrer Verfügbarkeit, ihrer Bezahlung und den Bedingungen, unter denen jemand zu arbeiten hatte. Die große soziale Frage des 21. Jahrhunderts könnte nun die nach dem Wohnraum werden, nach seiner Verfügbarkeit und seinen Preisen. Wenn es Politik und Wirtschaft nicht gelingt, deutlich mehr und deutlich günstiger zu bauen, wird eine ganze Rentnergeneration in die Mietfalle tappen und einen immer größeren Teil ihrer hart erarbeiteten Renten für die monatliche Miete ausgeben müssen. Am Ende bliebe vielen Menschen dann nur der Gang zum Sozialamt – nach einem langen Arbeitsleben und zig Beitragsjahren eine entwürdigende Vorstellung.
Die Politik tatenlos schaut zu
Bundesregierungen jeder Couleur haben diese Entwicklung entweder nicht kommen sehen oder sie fahrlässig verdrängt. Und ausgerechnet jetzt manifestieren sich die Probleme, verbinden sich stark gestiegene Baupreise, hohe Zinsen und unsichere ökonomische Aussichten zu einer gefährlichen Melange. Selbst viele passabel verdienende Mittelschichtsfamilien können sich heute nicht mehr wie selbstverständlich ein Eigenheim leisten – es sei denn, sie ziehen in die entlegensten Winkel der Republik, wo das Bauland noch halbwegs günstig ist und die Nachfrage nach Immobilien überschaubar.
Dabei zeigen andere Länder, dass es auch anders geht. In Dänemark und Schweden können Häuslebauer ihre Hypothekenzinsen auch dann von der Steuer abziehen, wenn sie selbst einziehen. In den Niederlanden zahlt eine staatliche Versicherung die Raten drei Jahre weiter, wenn jemand durch Arbeitslosigkeit, Scheidung oder den Tod des Partners in Bedrängnis gerät, und in Großbritannien erhalten Haushalte günstige staatliche Kredite, die die immer vorsichtiger werdenden Banken wie Eigenkapital behandeln.
Deutschland dagegen hat nicht nur mit die höchsten Preise und die höchsten Nebenkosten beim Bauen – es hat auch keinen Plan, wie sich das ändern soll. Bei 660.000 Rentnern reicht die Rente auch deshalb nicht mehr zum Leben, sie sind auf die Grundsicherung angewiesen. Tendenz: weiter steigend.