Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Die Gegner der Demokratie werden stärker

Kommentar

Die Gegner der Demokratie werden stärker

    • |
    Eine Gruppe der Reichsbürger hatte den Umsturz geplant und wurde deshalb verhaftet. Die Anführer müssen sich vor Gericht verantworten.
    Eine Gruppe der Reichsbürger hatte den Umsturz geplant und wurde deshalb verhaftet. Die Anführer müssen sich vor Gericht verantworten. Foto: Boris Roessler, dpa

    Stärker werden die am Fundament der freiheitlichen Ordnung höhlenden Kräfte. Sie kommen von weit links, von weit rechts, vom orthodoxen Islam und der radikalen Klimaschutzbewegung. Zehntausende Straftaten gehen auf das Konto dieser Demokratiegegner. Sie sind aktiver geworden, greifen weiter aus. Ausländische Geheimdienste und ihre Schattenfirmen versuchen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schwächen, indem sie Falschnachrichten und Übertreibungen in den sozialen Netzwerken im Internet lancieren. 

    Die Wühlarbeit an den Grundmauern, gleich den Mineuren alter Kriege, schwächt die Demokratie als gemeinsames Haus aller. Es sind in Deutschland ausweislich der Zahlen des Verfassungsschutzes keine 200.000 Extremisten, die einen anderen Staat wollen. Im Vergleich zu den 84 Millionen Einwohnern Deutschlands eine winzige Zahl. Doch der Eindruck täuscht. 

    Die Unübersichtlichkeit der Welt kommt nach Deutschland

    Sie haben das Potenzial, die Gesellschaft zu verunsichern und Zwietracht zu säen. Ihr Erstarken im Inneren ist der Spiegel der Verwerfungen im Äußeren. Der Klimawandel verlangt einen tiefgreifenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, der vielen zu schnell, aber auch einigen zu langsam geht. Sie pochen auf eine schnellere Abkehr von unserem industriellen Lebensstil. Die immer näher an Deutschland heranrückenden Kriege – Afghanistan, Irak, Syrien und Ukraine – haben Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht, von denen ein kleiner Teil hier Schutz sucht. Kulturelle Unterschiede, die Zunahme von Kriminalität, Konkurrenz um Wohnungen und Kindergartenplätze sowie eine umfassende sozialstaatliche Absicherung der Schutzsuchenden sorgen für Abwehrgefühle bei einem Teil der Angestammten. 

    Im Osten die Nummer 1 - der Erfolg der AfD bei der Europawahl hat das Parteiensystem erschüttert.  Etwa ein Drittel der 30.000 Mitglieder ist nach Schätzung des Verfassungsschutzes rechtsextrem.
    Im Osten die Nummer 1 - der Erfolg der AfD bei der Europawahl hat das Parteiensystem erschüttert. Etwa ein Drittel der 30.000 Mitglieder ist nach Schätzung des Verfassungsschutzes rechtsextrem. Foto: Jörg Carstensen, dpa

    Der jüngste Krieg im Gaza-Streifen hat ein Ausmaß an Antisemitismus zum Vorschein gebracht – von links, rechts und dem islamistischen Milieu –, das gerade für Deutschland eine Schande ist. Der Verfassungsschutz in Bund und Ländern beobachtet die Demokratiegegner und versucht ihnen zuvorzukommen, wenn sie zur Gewalt als Mittel des Kampfes greifen. Die Beamten sind aber keine Super-Polizei, die für ein konfliktfreies Zusammenleben in einer freiheitlichen Gesellschaft sorgen. 

    Es ist das Paradoxon der rechtsstaatlichen, vielgestaltigen Demokratie, dass sie auch die eigenen Gegner im gehörigen Maß gewähren lässt. Wer in Deutschland die Herrschaft eines Kalifats fordert, aber nichts dergleichen für die Errichtung desselben tut, macht Gebrauch von der Meinungsfreiheit, die die Essenz der Demokratie ist. Das bedeutet auch, dass eine Rückkehr zu mehr gesellschaftlicher Harmonie, zu einem gesitteten Miteinander nicht durch mehr Kräfte bei Verfassungsschutz und Polizei erreicht werden kann. Dass sich die Gesellschaft auseinander bewegt, es immer mehr kleinere Gruppen gibt und die Lebenswege vielfältig sind, gilt als das eiserne Gesetz der Soziologie. 

    Das Unbehagen als Norm

    Gleichzeitig hat Deutschland ein Rendezvous mit der Globalisierung, wie es der kürzlich verstorbene Staatsmann Wolfgang Schäuble einmal treffend zusammenfasste. Menschen aus allen Erdteilen kommen nach Deutschland – sei es als Flüchtlinge oder Arbeitskräfte. Auch das erhöht die Vielfalt, aber wegen unterschiedlicher Weltbilder auch das Konfliktpotential.

    Leider genügen fünf Prozent an Radikalen, um das Klima zu verderben, weil sie die Macht haben, die Debatte aufzuschaukeln. Die alte Übersichtlichkeit relativ homogener Gesellschaften mit ihren (fast) alle bindenden Wertvorstellungen und drei Leitmedien (Zeitung, Radio, Fernsehen) wird nicht zurückkehren. Es stimmt aber auch, dass Demokratien und ihre Staatsorgane nicht gut damit umgehen können. Es ist schwer, diese Verschiedenheit zu repräsentieren. Das Unbehagen wird zur Norm, daran wird man sich gewöhnen müssen. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden