Lautstärke gewinnt – das lässt sich bei den Bauern-Protesten gerade eindrucksvoll beobachten. Das ist gleichzeitig bewundernswert und zum Heulen. Bewundernswert, weil es den Landwirten gelungen ist, ihren Unmut auf die Politik der Bundesregierung zu bündeln und auf die Straße zu bringen. Oppositionspolitiker – etwa Hubert Aiwanger – stellten sich lautstark an ihre Seite. Die Traktoren-Staus waren so auffällig, dass sie die Berichterstattung dominierten. Politik, Medien, Öffentlichkeit – alle gucken auf die verärgerten Landwirte. Sie organisieren Petitionen und Bauernpräsident Rukwied kündigt an, sollte die Regierung nicht einlenken: "Dann werden wir ab 8. Januar überall präsent sein in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat."
An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, ob der Protest der Landwirte berechtigt oder überzogen ist. Diese ersten Zeilen sind eher eine neidvolle Anerkennung dessen, was eine starke Lobby bewirken kann. Aber damit stellt sich eine Frage: Warum muss laut werden, wer etwas bewirken will? Warum hilft niemand denen, die leise leiden? Deren Anliegen aber genauso drängend sind.
Ein Beispiel: Vor unser aller Augen kollabiert gerade das Bildungs- und Betreuungssystem. Es fehlen Erzieherinnen, Küchenpersonal, Lehrerinnen. Kitas schließen immer häufiger überraschend. Kinder schneiden bei Pisa so schlecht ab wie lange nicht. Das Bildungssystem, das in Deutschland eh schon nicht sehr gerecht ist, wird seit Corona noch ungerechter. Die Zahl der Kinder mit psychischen Erkrankungen steigt.
Die Kita-Krise wird gerne ignoriert – das liegt auch daran, dass Familie und Kinder wenig wert sind
Ja, es wird darüber geschrieben. Es gibt wissenschaftliche Studien. Es gibt Eltern, die von ihrem Kollaps berichten. Erzieherinnen, die das System mit Burn-out verlassen. Rentnerinnen, die wieder unterrichten. Familienpolitikerinnen sagen: Wir bemühen uns. Wirtschaftsverbände beteuern: Echt wichtig, dass da mal jemand was tut. Das war's.
Klar, es fahren auch keine klingelnden Kinderwagen-Konvois durch die Straßen. Eltern kippen keine vollen Windeleimer vor Abgeordneten-Büros. Und wer sollte im Namen aller Erzieherinnen, Lehrer und Eltern öffentlichkeits- und überhaupt wirksam verkünden: Wenn sich nicht bald was tut, legen wir das ganze Land lahm. Dabei gibt es deutlich mehr Eltern, Lehrerinnen, Erzieher und Kinder als Landwirte – oder Lokführer, um eine andere laute Gruppe zu nennen (sie sind damit übrigens auch eine deutlich größere Wählergruppe, liebe Politiker). Also wird wenig getan.
Dieses Ignorieren hat natürlich Gründe. Der erste: Familie – und Kinder – sind leider erstaunlich wenig wert. Beispiel: Ein Mann, der Karriere macht, erntet immer noch deutlich mehr Anerkennung als einer, der sich entscheidet, Vater zu sein. Karriere ist toll, Familienarbeit wenig wert. Der zweite: Eltern organisieren die Krise weg. Sie reiben sich auf, um alles irgendwie möglich zu machen. Opas fahren quer durchs Land, um zu babysitten. Mütter gehen nachts ihrer Erwerbsarbeit nach, um tagsüber auf die Kinder aufzupassen. Erzieherinnen sammeln Überstunden. Aber Protest? Nein. Wer geht schon auf die Barrikaden, wenn er damit das Liebste, das er hat – sein Kind – aufs Spiel setzt? Keiner.
Wenn zu viel Kita-Personal fehlt – können Kinder nicht angemessen gefördert werden
Die Folgen dieser Krise treffen indes schon längst das Liebste, das Eltern haben: die Kinder. Die Bertelsmann-Stiftung hat schon vor Jahren aufgezeigt, dass zu wenig Kita-Personal sich negativ auf die Kinder auswirkt. Sie werden zwar betreut, aber nicht mehr gefördert. Dabei, auch das ein Ergebnis der Bertelsmann-Untersuchungen, wollen pädagogische Fachkräfte eigentlich nur das: Kinder fördern. Ihnen etwas beibringen. Schon nach kurzer Zeit sind viele desillusioniert. Manche verlassen das System ausgebrannt. In anderen Fällen nimmt der Stress zu – und als Folge die Ruppigkeit. Im schlimmsten Fall kommt es sogar zu Gewalt gegenüber Kindern. Im vergangenen Jahr zeigte eine Umfrage des Bayerischen Rundfunks, dass die Zahl der Meldungen zu seelischer und körperlicher Gewalt in bayerischen Kitas bei den Kita-Aufsichtsbehörden erheblich gestiegen ist. Lassen wir das zu? Riskieren wir als Gesellschaft das Wohl unserer Kinder – unserer Zukunft?
Die Familienministerien der Ländern hätten die Möglichkeit, etwas zu ändern. Zum Beispiel, indem sie Kitas erlaubten, mehr Personal einzustellen. Denn die Betreuungsschlüssel legen die Länder fest. Und damit auch, wie viel Geld Kitas für Personal bekommen. Alle Fakten liegen auf dem Tisch. Sie sind still, aber ignorieren lassen sie sich nicht mehr lange.